piwik no script img

Clash der Kulturen als Methode

Ein Abenteuer mitten in Deutschland: Mehr als 900 Teilnehmerinnen aus 115 Ländern konnten drei Monate lang an der Internationalen Frauenuni (ifu) mitarbeiten. Ein riesiges Experiment in Sachen „weiblicher Blick auf die Welt“ und in interkultureller Kommunikation. Beobachtungen

von HEIDE OESTREICH

Der Präsident hat keine Chance. Die Deutschen seien das Interkulturelle nicht so gewohnt, versucht Jürgen Lüthje, Präsident der Uni Hamburg zu erklären, sie hätten ja kaum Kolonien gehabt. Und dann verspricht er sich auch noch: In Deutschland sei nur eine „small majority“ ausländerfeindlich. Eine kleine Mehrheit.

Vor dem Präsidenten in einem Saal der Hamburger Uni sitzt bei dieser Diskussion über Interkulturelle Kommunikation eine ganz andere Sorte von „majority“, vor ihm sitzt die Internationale Frauenuniversität, Projektbereich „Information“, etwa zweihundert Frauen von allen Kontinenten dieser Erde. „Sie sollten langsam merken, wie der Rest der Welt Sie sieht“, faucht eine Jamaikanerin in seine Richtung. Jeden Tag bekäme sie E-Mails von zu Hause, wo man sich sorgt, wie es ihr in dem Rassistenland wohl ergeht. „Germany is an anachronism.“

Diesem Anachronismus muss zugute gehalten werden, dass er es als erstes Land der Welt geschafft hat, eine Internationale Frauenuniversität auf die Beine zu stellen. Über neunhundert Teilnehmerinnen aus 115 Ländern, gut die Hälfte von ihnen aus Afrika und Asien, beenden in diesen Tagen ein einzigartiges Experiment: Drei Monate lang haben Nachwuchswissenschaftlerinnen den weiblichen Blick auf die Welt praktiziert. Haben Migrationsströme untersucht, über Bevölkerungspolitik, Gewalt und Sex debattiert, aber auch über Bewässerungssysteme, Stadtplanung, Datenbanken und den Sozialstaat. In sechs Projektbereichen wurde geforscht: Migration, Körper, Wasser, Stadt, Information, Arbeit.

Für die interdisziplinäre Arbeit unabdingbar war mindestens ein Hochschulabschluss, die Hälfte der „Studentinnen“ brachte zwei mit. „Im Grunde haben wir hier sechs Graduiertenkollegs unter einem Dach“, beschreibt die Präsidentin der ifu, Aylâ Neusel. Von Studentinnnen konnte somit keine Rede sein. „Ich arbeite hier mit Leuten zusammen, die wären normalerweise meine Dozentinnen“, bemerkt Mara Kuhl, Politologin mit nur einem Abschluss.

Ein riesiges Reservoir an Wissen und Erfahrung ist hier versammelt, aber auch an Ansprüchen, wie die Organisatorinnen der ifu bald feststellen mussten. Immer wieder gab es Ärger mit dem Service: Die Mensen in den vier Unis, auf die die ifu verteilt ist, weisen nicht aus, ob ihre Gerichte Schweinefleisch enthalten – für Musliminnen ein Affront. Und dann auch noch gemischtgeschlechtliche Studentenwohnheime! Eine Inderin jammert, dass es in Deutschland kaum Gewürze gibt, zwei Äthiopierinnen klagen, dass sie ihre Haushälterinnen vermissen und ihre Wäsche selbst waschen müssen. Internationalität muss professionell gemanagt werden, das war die erste Lernerfahrung der ifu.

Wie sollen eine deutsche Ärztin, eine indische Tänzerin, eine griechische Fotografin, eine Rechtsanwältin aus Nigeria und eine englische Historikerin zusammen Forschungsfragen entwickeln? Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Wenn Sozial- und Bibliothekswissenschaftlerinnen zusammen mit Computerexpertinnen Datenbanken neu strukturieren wollen, klappt die Arbeit hervorragend, hat Mara Kuhl im Projektbereich Information erlebt. Wenn aber die Soziologinnen den Informationsbegriff problematisieren und Daten nicht hierarchisch organisieren wollen, wird es anstrengend.

Die Historikerin Barbara Duden, die als eine von zwei Dekaninnen den Bereich „Körper“ leitet, hat gleich auf ein herkömmliches Curriculum verzichtet, und den subjektiven Blick zur Methode erklärt: Wenn man den „body in a technogenic world“ aufspüren will, hat es keinen Sinn, ihn in den Kategorien zu verhandeln, die ihn als medizinisch verwaltbares Gut konstituieren. Man muss den „Rest des Konkreten“ wahrnehmen, „den Spuren, in denen wir lebendig sind, folgen“, postuliert sie. Körperzentrierte Selbsterfahrung für Wissenschaftlerinnen? Auch. Das „Kunstprogramm“, das in alle sechs Bereiche integriert ist, kam hier dem Curriculum besonders nahe: Man lauschte mit der Tänzerin und Choreografin Elsa Wolliaston dem eigenen Puls, diskutierte aber auch mit der Berliner Choreografin Sasha Waltz über den Körper als anonyme Ware.

Als ebenso schwierig wie die weltweite Zusammensetzung erwiesen sich die unterschiedlichen Wünsche an das Curriculum. Dauerfrage der Aktivistinnen und Praktikerinnen, nicht nur im Bereich Körper: Und was kann ich jetzt damit anfangen? Was nützt es einer Krankenschwester aus Südafrika, die täglich Aidskranke sterben sieht, wenn sie lernt, was ein Cyborg ist? Was kann eine Somalierin mit der Debatte um Reproduktionsmedizin anfangen? „Gentechnik gibt es bei uns nicht“ – erklärten die Afrikanerinnen kurzerhand. Doch immer wieder finden die Forscherinnen Gemeinsamkeiten. Das Ahaerlebnis für manche Afrikanerin: „Wir denken, im Norden ist alles wunderbar, dabei schlagen hier die Männer die Frauen genauso wie bei uns.“

Und noch etwas ist Dauerthema: Der Norden exportiert nicht nur Wissenschaft, er exportiert auch Blicke, die Probleme erst generieren – denen auf der ifu zum ersten Mal live etwas entgegengesetzt wird. Homosexualität zum Beispiel: Die Nordländer präsentieren „gay pride“ und den Kampf gegen die Diskriminierung inklusive der Kritik an der ifu, sie würde das Thema Lesben sträflich vernachlässigen. In anderen Teilen der Welt, so hält die indisch-niederländische Soziologin Sumati Nair entgegen, identifiziert man sich schlicht nicht mit seiner Sexualität – sie ist einfach kein Thema. Die Besessenheit des christlichen Nordens mit diesem Thema habe die sexuelle Orientierung erst zum Problem gemacht. Nur wenn Heterosexualität zum Normalfall erklärt wird, bekommen Schwule und Lesben Schwierigkeiten. Das sei ein romantisierender Blick, wurde dem entgegengehalten, Homosexualität sei im Süden streng tabuisiert und stehe nur deshalb nicht im Mittelpunkt des Interesses.

Die speziell deutsche Variante der christlichen Kultur bringt die Untersuchung der Migration nach Deutschland zu Tage. Nicht nur hält man hier wie überall im Westen die protestantische Arbeitsethik hoch und projiziert, so die These der Soziologin Mirjana Morokvasic-Müller, die eigene Lust an der Faulheit auf die Menschen von außerhalb. Zudem sind Frauen, zumal Ausländerinnen, als Arbeitnehmerinnen nicht vorgesehen. Dabei, so Morokvasic, haben die meisten Türkinnen in der Türkei gearbeitet. In Deutschland wurden sie „hausfrauisiert“.

Alle Bereiche der ifu mussten, um die Komplexität in Bahnen zu halten, Probleme anhand bestimmter Regionen verhandeln – in der Hoffnung, sie könnten sich als exemplarisch erweisen und die Lösungsansätze damit übertragbar sein. Das gelang nur teilweise. Während im Bereich Wasser tatsächlich Ingenieurinnen und Politikerinnen verschiedener wasserarmer Regionen ihr Wissen über Wasseraufbereitung austauschten, grummelte es im Bereich Arbeit erheblich: Frauen und Arbeit in den osteuropäischen Transformationsländern, hieß das Beispiel. Während über Sozialstaatskonzepte debattiert wurde, konnten Inderinnen und Afrikanerinnen nur die an der ifu oft vernommene Klage vorbringen: „It’s not about us!“ Staatliche Sicherungssysteme, Wohlfahrtstaat, das gibt es bei uns nicht. Merkwürdigerweise fragen deutsche Studentinnen dagegen nicht, was Wasserdiebstahl in Afrika „mit uns“ zu tun hat.

Kritisch vermerkt wurde natürlich auch, dass überproportional viele DozentInnen aus dem Norden kamen, was durchaus zu paradoxen Situationen führte: Da sprach eine kanadische Anthropologin über die Geschichte der Beschneidung im Sudan. Warum hält sich das Ritual so hartnäckig, obwohl seit der Kolonialzeit Ärzte, Missionare und WissenschaftlerInnen dagegen vorgehen? These: Sie kriminalisieren ein Ritual, das eigentlich auf einer anderen Ebene angesiedelt ist. Der Versuch, zu erklären, was Beschneidung den jeweiligen Kulturen bedeuten könnte, geriet augenblicklich unter Sperrfeuer – und zwar von afrikanischen Antigenitalverstümmelungsaktivistinnen. Was denn die Kanadierin überhaupt im Sudan zu suchen habe, lautete die Spitze des interkulturellen Clashes.

Eurozentrismus, Rassismus, diese Debatten begleiteten alle Projekte der ifu: „Die Strukturen vermitteln sich ja immer über Personen“, sagt die Soziologin Sigrid Metz-Göckel, die die ifu evaluieren wird: „Wie kommt eine deutsche Teilnehmerin dazu, eine Sudanesin auf einer Party zu fragen, ob sie eigentlich auch beschnitten sei? Fragen Europäerinnen sich gegenseitig auch öffentlich nach ihren Genitalien?“

Es sei eine anstrengende Erfahrung, gibt Therona Moodley aus Südafrika zu Protokoll, wenn andere etwas sagen, das einem unpassend erscheint, nicht zu denken: „She’s stupid“, sondern zu überlegen, „maybe she’s not stupid, but different“. Hundertmal am Tag. Vor allem erschöpft sind die ifu-Studentinnen am Ende ihres Crashkurses in Interkuktureller Interdisziplinarität. Dazu der enorme Druck, etwas besonders Großartiges produzieren zu müssen: Am Freitag stellen die Teilnehmerinnen die Ergebnisse ihrer Forschungen vor: Filme über selbstständige Einwanderinnen in Hannover, Studien über Flussentwicklung und Stadtplanung, eine neue Datenbankverwaltung für den Zugang zur internationalen Fachliteratur.

Auch diese Präsentationen werden in eine Evaluation des Experiments ifu einfließen, die im Januar fertig sein soll. Schließlich war die ifu nicht unumstritten: Zwar wird sie als viel versprechendes Reformprojekt gehandelt, doch sah man ungern, dass diese Förderung nun ausschließlich Frauen zugute kommen sollte. „In der Türkei zum Beispiel sind 21 Prozent der WissenschaftlerInnen weiblich, in Deutschland haben weniger als sechs Prozent eine C4-Professur“, argumentiert Aylâ Neusel dagegen. Sie betont, dass die ifu gerade das engere Genderforschungsgebiet ausgeweitet habe: Wasserbau, Migrationspolitik, Datenbanken: „Das ist auch für Männer wichtig.“ Ein apartes Argument fügt Helga Ebeling aus dem Bildungsministerium hinzu, das die ifu zu einem Drittel finanziert hat: „Mit Männern hätten Sie so ein Projekt niemals hingekriegt“ – dafür sei die männerdominierte Wissenschaft viel zu unflexibel.

Die ifu, angelegt als einmaliges Projekt auf Zeit, will nun ihre internationale Kompetenz verstetigen, von einer virtuellen internationalen Frauenuniversität ist die Rede, auch von einem möglichen Mastersaufbaustudiengang. Doch finanziert ist das noch lange nicht. Erst müsse die Evaluation erweisen, dass die ifu der deutschen Forschungslandschaft nütze, heißt es aus dem Bildungsministerium. Die Skepsis ist hier eher gering. Anders im hessischen Wissenschaftsministerium, das am Tag nach dem Regierungswechsel die Finanzierungszusage für den Bereich Stadt, der an der GhK Kassel angesiedelt ist, zurückzog: Die Fortbildung internationaler Wissenschaftlerinnen bringe dem deutschen Nachwuchs nichts, hieß es aus dem Haus Ruth Wagners. Ja, wenn in Deutschland eine „small majority“ lieber Vorurteile pflegt, als über den Tellerrand zu sehen – dann hat Frau Wagner freilich Recht.

HEIDE OESTREICH, 31, ist Inlands- und Frauenredakteurin der taz. Studiert hat sie sträflicherweise nur in Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen