: Chronologie eines Streites
3.5.1995
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der damalige Bildungssenator Henning Scherf (SPD) unterzeichnen einen Kooperationsvertrag. Dieser sieht vor, neue Lehrerarbeitszeitmodelle zu entwickeln, zu erproben und möglicherweise umzusetzen. Außerdem soll die Behörde eine Studie über die Belastung im Lehrerberuf in die Wege leiten.
14./15.9.1996
GEW und Bildungsbehörde verhandeln über die Weiterführung des Kooperationsvertrages. Bisher waren alle Versuche, sich zu einigen, gescheitert. Die CDU hat gefordert, die Pflichtstundenzahl um eine Stunde pauschal erhöhen. Das hatte die Bildungssenatorin bisher abgelehnt. Sie will stattdessen das Arbeitszeitmodell laut Kooperationsvertrag durchsetzen. Kahrs geht bei diesem Testmodell von einer 38,5 Stunden-Woche aus, die auch andere Arbeiten als den reinen Unterricht miteinbezieht. Die GEW bemängelt, daß zu wenig neue LehrerInnen eingestellt würden. Es kommt zu Schlichtungsverhandlungen: Eine Woche haben Lehrer-Gewerkschaft GEW und Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) noch Zeit, sich über ein Arbeitszeitmodell an Bremer Schulen zu verständigen. Wenn es nicht gelingt, soll der Koalitionsausschuß entscheiden.
22.9.1996
Der Koalitionsausschuß tagt doch und die CDU bekräftigt ihre Forderung, daß die Lehrer eine Stunde mehr unterrichten sollen. Die SPD will dagegen den 45-Minuten-Takt reformieren und andere Arbeitszeitmodelle ausprobieren. Die CDU wundert sich, daß es trotz des Kooperationsvertrages zwischen Bildungsbehörde und GEW bisher keine erfolgreichen Modellversuche gibt. Die Koalitionäre beschlossen deshalb, den Erfolg der Modellphase bis zum Sommer 1997 abzuwarten. Sonst werde die Unterrichtsverpflichtung um eine Stunde angehoben.
15.11.1996
Die GEW fürchtet, daß der Kooperationsvertrag mit der Bildungsbehörde für neue Arbeitszeitmodelle auf der Kippe steht. Wenn die große Koalition im Sommer eine Pflichtstundenerhöhung für LehrerInnen beschließe, sei der Vertrag faktisch gekündigt. Im Bildungsressort geht man weiter davon aus, daß ab Februar neue Arbeitszeiten für Lehrer erprobt werden und die Erkenntnisse ab kommendem Schuljahr an allen Schulen umgesetzt werden.
23.11.1996
Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs will im Februar 1997 den Modellversuch an Bremens Schulen für eine neue Arbeitszeit durchsetzen. Ab kommendem Schuljahr soll diese Organisation dann flächendeckend eingeführt werden. Doch welche Schulen mitmachen, kann sie noch nicht sagen. Denn in den Lehrer-Kollegien ist das Modell umstritten. Das Modell sieht vor, daß LehrerInnen wie alle anderen im öffentlichen Dienst Beschäftigten 38,5 Stunden arbeiten – statt 26 Stunden je 45 Minuten inklusive Vor- und Nachbereitungszeit zu unterrichten. Projekte, Klassenfahrten, Elterngespräche und Konferenzen sowie Weiterbildungen würden Pflichtarbeitszeit. LehrerInnen sollten länger, also bis zu 30 Zeitstunden in der Schule anwesend sein. Die Alternative: Eine Pflichtstundenerhöhung im kommenden Schuljahr.
24.11.1996
Die GEW reagiert verärgert auf die Pläne aus dem Bildungsressort. Die Bildungssenatorin hätte mit der GEW nicht darüber gesprochen. Es gäbe kein Arrangement. Der Kooperationsvertrag sei faktisch gescheitert.
10.12.1996
GEW-Landesvorstandssprecher Heiko Gosch gibt bekannt, daß sich an dem Kooperationsvertrag zwischen GEW und Bildungsbehörde über den Modellversuch zur Lehrerarbeitszeit ab Februar 1997 nur zwei Schulen beteiligen werden. Es seien nur so wenige, weil die Behörde jetzt andere Rahmenbedingungen geschaffen hätte. Die Arbeitszeiten in dem Modell kämen einer Arbeitszeitverlängerung gleich.
18.12.1996
Die GEW kündigt an, daß sie nicht mehr an neuen Lehrerarbeitszeit-Modellen mitarbeiten will. Die Kooperation sei beendet. Ihre Bereitschaft, auf Gehalt zu verzichten werde nicht durch Zusagen für neue Stellen belohnt. Es drohe im Gegenteil eine Arbeitszeitverlängerung sowie weiterer Stellenabbau. Die Bildungssenatorin wolle mit ihrem Vorstoß nur mehr Schüler mit weniger Personal unterrichten lassen. Die Vorgaben von oben aus der Bildungsbehörde sowie die Drohung der CDU mit einer Stunde Mehrarbeit hätten die Reform-Motivation der Kollegen zerstört.
19.12.1996
Die CDU beharrt darauf, daß der Modellversuch ab Februar anläuft. Wenn nicht, würde die Unterrichtsverpflichtung um eine Stunde erhöht.
22.1.1997
100 LehrerInnen demonstrierten vor der Bürgerschaft. Die Koalition beschließt an diesem Tag, entweder die Unterrichtszeit zu erhöhen oder das Arbeitszeitmodell umzusetzen. In der Bürgerschaftssitzung im Juni soll dann entschieden werden, ob es zu einer Pflichtstundenerhöhung kommt.
6.2.1997
1000 Lehrkräfte kommen zur Personalversammlung der LehrerInnen ins Pier 2. Bildungssenatorin Kahrs stellt nochmals das Arbeitszeitmodell zur Diskussion. Mit der Neuorganisation der Lehrerarbeitszeit, die auch Vor- und Nachbereitungen sowie Kinderbetreuung und Organisationsarbeit auf Arbeitszeitkonten bewerte – sollten nur 150 Stellen gestrichen werden. Doch die LehrerInnen blocken ab. „Die Mehrheit zieht es offenbar vor, eine Stunde mehr zu arbeiten“, folgert die Senatorin auf der Personalversammlung.
20.2.1997
Bildungssenatorin Kahrs veröffentlich ein Werkstattpapier. Inhalt: Die Pflichtstundenzahl soll um zwei Stunden erhöht werden. Grund für den Vorstoß laut Bildungsbehörde: Der Solidarpakt im öffentlichen Dienst war gescheitert und damit auch die Möglichkeit, flächendeckend ein neues Arbeitszeitmodell umzusetzen. Außerdem hätten sich nur drei Schulen für ein Arbeitszeitmodell interessiert, GEW und die Personalversammlung wären dem Vorschlag nicht gefolgt. Die GEW habe jetzt bis Anfang März Zeit, sich doch noch für neue Arbeitszeitmodelle auszusprechen. Einzelne Schulen könnten sich auch weiterhin den Modellversuchen anschließen. Ansonsten bliebe nur die rigorose Aufstockung der Arbeitszeit. GEW-Vorständler Heiko Gosch: „Das können wir nur rundweg ablehnen.“
21.2.1997
Während die politischen Parteien überwiegend positiv auf den Vorstoß der Bildungssenatorin reagierten, wirft der Personalrat der Behörde Unruhestiftung vor, und die GEW droht mit Streiks. Die SPD-Fraktion stellt sich hinter die Bildungssenatorin. Da die GEW sich neuen Arbeitszeitmodellen bisher verweigert habe, sei die Erhöhung der Stundenzahl notwendige und logische Konsequenz.
5.3.1997
4.500 SchülerInnen demonstrierten vor dem Rathaus für neue LehrerInnen. Bildungssenatorin Kahrs will sich darum bemühen, bis zum Jahr 1999 in Bremen und Bremerhaven 180 neue LehrerInnen einzustellen. Bei den zwei zusätzlichen Pflichtstunden aber bleibe es. Die GEW will deshalb an zehn Schulen streiken.
18.3.1997
Streikauftakt an fünf Schulen gegen Lehrer-Mehrarbeit. Durch die höheren Stundenzuweisungen könnten mehr Lehrer aus den Schulen abgezogen werden. Die LehrerInnen würden noch mehr belastet und es würden keine neuen LehrerInnen eingestellt werden.
25.3.1997
Der Senat beschließt, daß LehrerInnen ab dem kommenden Schuljahr zu zwei Stunden mehr unterrichten sollen. Der Gesetzentwurf muss noch von der Bürgerschaft beraten werden. Der Entwurf sieht immer noch vor, ein neues Arbeitszeitmodell zu erproben und umzusetzen. Über die Art des Modell soll die Bildungsdeputation entscheiden, beschließt der Senat. Neben den bisherigen drei Schulen würden weitere neun das Modell gerne für sich anwenden.
ab 14.4.1997
Weitere Protestaktionen anSchulen: LehrerInnen renovieren, verteilen saure Zitronen und halten unvorbereiteten Unterricht auf den Schulhöfen ab, um die Folgen der Lehrer-Mehrarbeit zu demonstrieren.
26.4.1997
Die GEW kündigt einen zentralen LehrerInnen-Streiktag am 30. April an. Die Politik hätte sich einbetoniert. Die geplante Arbeitszeiterhöhung sei ein soziales Verbrechen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit der Region. Die GEW fordert den Senat auf, neue LehrerInnen einzustellen statt die Stundenzahlen zu erhöhen.
30.4. 1997
Rund 4.000 LehrerInnen streiken gegen die Lehrer-Mehrarbeit und gehen für neue Lehrerstellen auf die Straße. Sie ziehen in vier Demozügen durch die Stadt und verteilen vor den SPD- und CDU-Fraktionsbüros rote Karten. Auf dem Marktplatz findet die zentrale Streikkundgebung der GEW statt.
7.5.1997
Die Bildungssenatorin kündigt eine Effizienzstudie sowie eine Belastungsstudie über den Lehrerberuf an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen