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Chronik des Lagerkrieges

■ Schiiten wollen die Palästinenser endgültig aus dem Südlibanon vertreiben

Die fünfte Runde des „Lagerkrieges“ begann am 30. September dieses Jahres, als die Schiiten–Bewegung Amal den Belagerungsring um Rashediyeh im Südlibanon schloß und ca 17.000 Palästinensische Flüchtlinge in dem Camp südlich von Sour einkesselte. Die Palästinenser wehrten sich gegen das, was sie als „Vollzug des israelischen Planes“ bezeichnen: die Flüchtlinge aus dem Südlibanon weiter in Richtung Norden zu treiben. Amal–Chef Nabih Berri, der sich der drohenden Gefahr einer nicht mehr zu kontrollierenden Konfrontation bewußt ist, versuchte mit syrischer Hilfe auf seine Leute im Süden einzuwirken und setzte sich für eine Aufhebung der Blockade ein. Umsonst. Daoud–Daoud, der Verantwortliche Mann von Amal in Sour verlangte die absolute Entwaffnung der Palästinenser und weigerte sich, den Chef des syrischen Geheimdienstes in Libanon, General Ghazi Kanaan, zu treffen. Stattdessen machten die schiitischen Milizen Front gegen die ca 28.000 Palästinenser in der Gegend um Sour. Nach Angaben des UN–Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge befinden sich seitdem mehr als 18.000 Menschen auf der Flucht. Hunderte von Männern wurden verhaftet, einige hingerichtet. Die schiitisch–palästinensische Feindschaft, schon seit zwei Jahren blutig ausgetragen, verbreitet sich daraufhin im Schneeball–Prinzip. Sämtliche Camps im Südlibanon und in Beirut wurden zur Front. Am 24.Oktober gingen die Feddayin des PLO– Chef Arafat in die Gegenoffensive. Die hauptsächlich von Sunniten bewohnte Hafenstadt Saida ist in den letzten Monaten zur „autonomen“ Zone, zum Hinterland der Palästinenser geworden. Das Lager Rashediyeh, in dem 17.000 Palästinenser leben, wurde vier Jahre nachdem die Feddayin während der israelischen Invasion 1982 aus dem Land vertrieben worden waren, wieder zum Bollwerk der PLO. Auch die palästinensischen Organisationen, die nach der Vertreibung aus dem Libanon ihr Quartier in der syrischen Hauptstadt Damaskus aufschlugen, haben ihr Potential im Südlibanon wieder verstärkt und kämpfen nun wieder Seite an Seite mit den Arafat–Leuten. Im Beiruter Camp Bourj–el–Brajneh leisten weitere 30.000 Palästinenser den Panzern der Schiiten– Miliz und der sechsten Brigade der libanesischen Armee Widerstand, die beide von den Syrern bewaffnet worden sind. Im Mai/Juni 1985 wurde schon das Lager Sabra, am südlichen Rand der Hauptstadt vernichtet, Chatila zu dreivierteln zerstört. Die Spannung in Beirut steigerte sich in den letzten Tagen zur Explosivität. Die Amal–Miliz verstärkte ihren Druck auf das Lager Chatila, und die Amal nahestehende Medien geben den Sturz des Lagers schon bekannt. Siegen oder Sterben. Drusenchef Walid Junblatt befürchtet, daß der Sturz Chatilas die Eröffnung einer Reihe von Katastrophen bedeuten würde. So könnten schiitische Dörfer in der Nähe von Saida zum Ziel palästinensischer Rache werden und aus den harten Schlachten von heute schon morgen die reinen Massaker werden. Dieser neue facettenreiche Krieg im Libanon dreht sich um die zivile wie bewaffnete Präsenz der Palästinenser im Lande, auch wenn klar ist, daß Amal allein diesen Krieg nicht gewinnen kann. Noch ist unklar, bis zu welchem Punkt Syrien seine Unterstützung der Amal weitertreiben kann oder will. Bislang gelang es den Syrern jedenfalls nicht, ihre anderen Verbündeten im Libanon auf die Seite von Amal zu mobilisieren. „Ich werde niemals gegen die Palästinenser kämpfen“ hat Drusenchef Junblatt wiederholt gesagt. Und auch die anderen linken Gruppierungen haben sich gegen die Eroberung der Lager ausgesprochen und gegen die Entwaffnung der Palästinenser. Damit läuft Amal Gefahr, einen sehr hohen Preis ganz allein zahlen zu müssen. Im vergangenen Jahr wurde Sabra zerstört, vielleicht fällt Chatila. Die palästinensischen Feddayin aber können sich auf die rund 350.000 Flüchtlinge im Libanon stützen. Joseph Katz

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