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Chronik der „Musical-Stadt Bremen“

Januar 96. „Einen Abend Musical, am anderen Traviata“ – so wirbt Musical-Produzent Frank Buecheler für sich und sein Musical Jekyll&Hyde. Bremen sei, so Buecheler im taz-Interview, „ja eine ganz attraktive Stadt“, schade nur, dass das sowenige wüssten, und gut, dass jetzt er, Buecheler, bereitstehe. „Es fehlen die Anlässe herzukommen“, sagt der Mann über Bremen. Sein Musical werde die Menschen nach Bremen locken, davon würde auch das Theater profitieren – erst Musical, dann Traviata.

Februar 1996. Der Senator für Wirtschaft (Hartmut Perschau) berichtet den Wirtschaftsförderausschüssen, das Gutachten von „Wenzel&Partner“ (Bremen engagierte die Berater-Firma auch beim Space Park und beim Rhodarium!) bewertete den Standort Richtweg „positiv“, sehe „Marktweckungseffekte“ beim Musical und ein „intensives Wachstum“. „Erst deutlich nach dem Jahre 2000 rechnen die Gutachter mit einem Verdrängungswettbewerb“, schreibt Perschau. Die Haus-Eigentümer Korn/Korn/Arend (KKA GbR) und die „Neue Metropol Lizenzen“ hätten am 3.1.1996 folgendes Angebot unterbreitet: „Produktion eines Dauermusicals ... auf rein privatwirtschaftlicher Basis“. Die Immobilie sollte dafür von der Stadt umgebaut und auf der Basis „umsatzabhängiger Staffelmiete“ zur Verfügung gestellt werden. Die Betreiber gehen von einer Auslastung des Musicals von 90 Prozent aus, 40 Prozent der Besucher sollen in Bremen eine Hotel-Übernachtung buchen, 500 Arbeitsplätze würden entstehen.

Der Wirtschaftssenator fügte damals eine skeptische worst-case-Berechnung an: Selbst wenn die Auslastung „nur“ 70 Prozent betrüge, würden 385 (direkte und indirekte) Arbeitsplätze geschaffen, die Subvention als Mitzuschuss betrüge 1,7 Millionen Mark. Diese 1,7 Millionen sollten die Obergrenze staatlicher Zuschüsse sein, beschließen die Wirtschaftsförderausschüsse.

19.2.1999. Premiere von Jekyll&Hyde. 22 Millionen Mark hat die Produktion gekostet, und sie macht Eindruck. Jekyll&Hyde wird zum besten deutschen Musical des Jahres gekürt. Laut Produzenten sind 100.000 Karten vor der Premiere tatsächlich verkauft.

Sommer 1999. Am 19. Juli gibt Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) gegenüber der Bürgerschaft eine Auslastung von knapp 82 Prozent an. Im September gibt Staatsrat Uwe Färber auf Anfrage der Grünen die Auslastung des Sommers bekannt: 51 Prozent im Juli, 53 Prozent im August. Aber Nachfragen solcher Art brächten aber das Musical in Misskredit, kritisiert er die Oppositionspartei.

Lutz Jarosch nimmt seinen Hut, René Meyer-Brede wird neuer Geschäftsführer.

Mai 2000. Die Musical-Betriebsgesellschaft bittet bei der Bremer Investitions-Gesellschaft (BIG) um ein Darlehen, um den Konkurs abzuwenden. Die Sparkasse droht mit Auszahlungssperre. Missmanagement, sagen die einen, mangelndes Marketing, sagen die anderen, sei der Grund für die Krise des Musicals.

31.8.2000. Die Wirtschaftsförderausschüsse beschließen mit den Stimmen von SPD und CDU ein „Darlehen“ in Höhe von 4,5 Millionen Mark für das Musical – ein erster Vorschuss auf ein Rettungskonzept im Umfang von 12 Millionen Mark. Ausschusssprecherin Eva-Maria Lemke-Schulte (SPD) fordert lückenlose Aufklärung. Mit einer Marketing-Kampagne sollen wieder mehr Zuschauer geworben werden. Die geforderten 12 Millionen Mark sichern die Liquidität bis „Ende 2001“ für Jekyll&Hyde, versichert Meyer-Brede.

September 2000. Neuer Minusrekord für Jekyll&Hyde: 15.000 BesucherInnen im September, Auslastung 30 Prozent. Hattig: „Investitionen sind immer Risiko-Entscheidungen.“

30.1.2001.Jekyll&Hyde soll Ende Juni 2001 abgesetzt werden, dann soll Hair kommen. Die Deutschen Entertainment AG hatte das abgelehnt. Ihre Begründung: Bremen ist kein Musical-Standort. KPS, Weser-Report-Herausgeber und Vorstandsvorsitzender von CTS Eventim will die unternehmerische Führung übernehmen. Er will vor allem die bremische Ticket-Gesellschaft (TSC) kaufen, die Stadt hat beide Themen verknüpft.

Februar 2001. Der Bremer FDP-Vorsitzende Claus Jäger warnt den Senat davor, „sich in das nächste Musical-Abenteuer zu stürzen“. SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen will vor dem Zuschlag für KPS wissen, wo die Millionen Mark Rettungsmittel geblieben sind. Wirtschaftssenator Hattig versichert: „Der Steuerzahler ist für mich ein Foto, das ich permanent vor Augen habe.“ Die taz kommentierte: „Was das Musical bisher von der Stadt abpresste, gibt nur einen Vorgeschmack auf das, was Schulenberg erreichen wird.“

24.3.2001. Der Musical-Vertrag mit KPS ist laut Senat unterschrieben. KPS übernimmt die staatlichen Anteile von TSC (50 Prozent) und verpflichtet sich, mit einer eigenen Gesellschaft das Theater am Richtweg mit „touristisch relevanten“ Dauerproduktionen zu bespielen. Zunächst soll Hair aufgeführt werden. CTS Eventim soll seinen Firmensitz von München nach Bremen verlegen.

September 2001. Auf Drängen der Grünen Helga Trüpel erfährt die Öffentlichkeit, wieviel Jekyll&Hyde die Stadt gekostet hat: Bis zum 31.6.2001 belaufen sich die Zuschüsse auf 18,58 Millionen Mark, heißt es in einem internen Abschlussbericht.

Für Jekyll&Hyde war nicht einmal der fällige Mietanteil eingetreiben worden. Bremen übernahm auch die Sozialleistungen bei der Liquidierung von Jekyll&Hyde.

14.9.2001. Die Premiere von Hair wird in der überregionalen Presse nicht wahrgenommen, beklagt sich Unternehmer Schulenberg. Nach der Premiere sind die Stimmen geteilt. CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff prognostiziert, dass man sich „in spätestens zwei Monaten“ in den Wirtschaftsförderausschüssen über das Musical wieder unterhalten müsse.

22.10.2001. Wirtschaftssenator Hattig hat einen Beschlussvorschlag für den Senat fertig: Das Musical soll mit drei Millionen Mark über das Jahr 2001 gerettet werden. Da das Geld nicht in seinem Haushalt nicht vorhanden ist, soll es als Kredit aufgenommen und aus dem Etat „Tourismusförderung 2002“ abbezahlt werden.

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