Christoph Biermann: In Fußballand
■ Wenn es am Hardturm in Zürich um die Wurst geht
Als vor einigen Tagen die deutsche Nationalmannschaft in der Qualifikation zur Europameisterschaft unter fast glücklich zu nennenden Umständen mit 3:1 in Moldawien siegte, kam ein Wettlauf des Spottes in Gang. Dabei wurde die Ankunft des deutschen Fußballs in der Zweitklassigkeit auf allerlei komische Weise zum Ausdruck gebracht, wobei besonders gerne Scherze und Schabernack mit den Begriffen „Zwerg“ und „Liliput“ getrieben wurde.
An jenem Abend, als in Chisinau das Spiel stattfand, das die Vorlage für solche Witzeleien lieferte, fragte ich mich gerade, wieviel Deutsche Mark wohl 25 Dänische Kronen sind. Fast sieben Mark sind es, fand ich später heraus, woraus der Schluß zu ziehen ist, daß Toilettenpapier in Dänemark recht teuer ist. Immerhin nutzte eine Supermarktkette das Länderspiel Dänemarks in der Schweiz dazu, auf ihren Preis-Hit hinzuweisen, daß acht Rollen Toilettenpapier nur 25 Kronen kosten. Noch teurer, das zeigte sich, als sich die Werbebande weiterdrehte, ist übrigens ein Mineralwasser namens „Bonanza“, von dem drei Flaschen 35 Kronen kosten.
So saß ich also auf der Tribüne des Hardturm-Stadions in Zürich, dachte über dänische Lebenshaltungskosten nach und ließ dabei meinen Oberkörper hin- und herpendeln. Denn unmittelbar vor mir war ein Stützpfeiler, an dem ich vorbeischauen und gleichzeitig darauf achten mußte, nicht mit dem Kopf meiner Sitznachbarin zusammenzustoßen. Vielleicht hätten wir uns einfach anderswo hinsetzen sollen, denn im Stadion waren so viele Zuschauer wie an einem guten Tag in Ulm und an einem schlechten beim FC St. Pauli. Gut zwölftausend Fans wollten das Spiel sehen, über dem bereits so früh in der Qualifikation zur Europameisterschaft ein Hauch von Vorentscheidung lag.
Duldsam waren die Besucher nicht. Zwar hatten sie beim Einlaufen der Mannschaften auf Anweisung des Stadionsprechers brav die auf ihrem Sitz liegenden Pappen hochgehalten, auf denen ein großes weißes Kreuz auf rotem Trikot und bei genauerem Hinsehen auch eine Trachtenjacke sowie eine Frau in einer Milchkanne und der neue Nationaltrainer Gress in der Brusttasche gezeichnet war, aber über das Spiel ihrer Mannschaft murrten sie schon sehr bald. Die Pfiffe waren ein wenig ungerecht, weil der Platz, auf dem die Partie stattfand, es den Spielern nicht leicht machte. Vor Beginn des Winters sah das tiefe, holprige Feld bereits aus, wie sonst eigentlich erst an dessen Ende.
Wer in der Schweiz mit Fußballanhängern spricht, wird ihren Informationsstand bewundern müssen. Sie kennen die Lage in der italienischen Liga, verfolgen aufmerksam auch den französischen und englischen Fußball, ganz besonders aber den in Deutschland. Dagegen taugt ihre eigene Nationalliga kaum für Fußballträume. Der FC Basel mag der Schweizer Klub sein, an dem sich am leichtesten eine fast unschweizerisch irrationale Begeisterung entzündet. Nimmt man die gelegentlichen Wirrnisse in der Vereinsführung hinzu, ist der FCB mit Klubs wie dem 1. FC Nürnberg zu vergleichen. Sein Etat aber liegt etwas unter dem des FC Gütersloh. Wenn Sat.1 in seinem Schweizer Fenster Ligaspiele live überträgt, schalten rund vierzigtausend Zuschauer den Fernseher ein. Eine solche Quote erreichen, setzt man die Bevölkerungszahl in Relation, in Deutschland nächtliche Wiederholungen von Talk-Shows.
Das EM-Qualifikationsspiel zwischen der Schweiz und Dänemark endete 1:1, weil die Dänen in der Nachspielzeit ausglichen. Nach Abpfiff ging ich in den Presseraum, der den vergilbten Charme der Vereinsgaststätte am Bieberer Berg in Offenbach hat. Die Ausführungen des dänischen Trainers waren nicht zu hören, weil kein Mikrophon zur Hand war. Hinten am Tresen polterte der Vater von Stéphane Chapuisat. Er wirkt wie ein besonders cholerischer Kreisligatrainer, ist aber das mittlere Glied einer drei Generationen umfassenden Dynastie von Schweizer Spitzenfußballern. Es ging wohl um die falsche Auswechslung von Gress, die den Sieg und vielleicht auch schon den Platz in der Endrunde gekostet hatte.
Es war ein schöner Ausflug nach Zürich, und der dorthin exilierte Fußballkommentator Marcel Reif hat recht damit, daß die Stadionwurst am Hardturm die beste der Welt ist. Um über den Absturz des deutschen Fußballs in die Zweitklassigkeit ordentlich mitzuspotten, fehlte mir nach der Rückkehr allerdings der Schwung.
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