Christiansen: Nicht mehr nützlich
Am Sonntag moderierte Sabine Christiansen zum letzten Mal ihre Sendung "Sabine Christiansen". Kaum jemand wird sie vermissen. Wie konnte es so weit kommen?
Christiansen? Seh ich schon ewig nicht mehr." - "Ach, Christiansen." Ein abfälliges Urteil über die Altmeisterin der politischen Talkshow ist in diesen Tagen sehr nützlich: Man kann sich als kritischer Geist präsentieren - und weiß sich zugleich geborgen in der mittigsten Mitte des öffentlichen Mainstreams. Noch 2003 hatte der damalige CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz erklärt: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda mittlerweile mehr als der Deutsche Bundestag." Und heute? Heute sagen 79 Prozent der Fernsehzuschauer in einerStern-Umfrage, dass sie die Talkshow von Sabine Christiansen nicht vermissen werden, die an diesem Wochenende zum letzten Mal ausgestrahlt wird.
Guido Westerwelle, FDP-Partei- und Fraktionschef (31-mal)
Wolfgang Gerhardt, früherer FDP-Partei- und Fraktionschef (24)
Hans Eichel (SPD), früherer Finanzminister (23)
Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin (23)
Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler (23)
Gregor Gysi (Die Linke), Fraktionschef (22)
Otto Schily (SPD), früherer Bundesinnenminister (22)
Oskar Lafontaine (Die Linke), früherer SPD-Bundesvorsitzender (21)
Friedrich Merz (CDU), früherer Fraktionschef und Finanzexperte (21)
Wolfgang Clement (SPD), Exwirtschaftsminister und NRW-Ministerpräsident (20)
DPA
Was für ein Absturz! Was für eine Ironie. Als "das Palaver des Justemilieu" hat der Publizist Walter van Rossum die Christiansen-Sendung bezeichnet: "Das Justemilieu repräsentiert so etwas wie den tückischen Totalitarismus der Postmoderne: Dabeibleiben ist alles." Nun ist dessen Protagonistin selbst nicht mehr dabei. Achselzuckend wird sie in einen Lebensabschnitt verabschiedet, in dem sie sich ihre öffentlich bekundeten Wünsche erfüllen kann, Klavier zu spielen und ihre Russischkenntnisse zu verbessern. Die Öffentlichkeit nimmt es gleichmütig hin. Soll sie doch. Wie konnte es so weit kommen?
Wer das sonntägliche Salongeschwätz schon lange unerträglich fand, mag die Frage für überflüssig halten und sich allenfalls darüber wundern, dass die Königin nicht schon viel früher vom Thron gestoßen wurde. Genau da jedoch liegt der Hase im Pfeffer: Sie wurde eben lange nicht vom Thron gestoßen. Was hat sich geändert? Auf den ersten Blick doch nichts, was den dramatischen Meinungsumschwung erklären würde.
Gewiss: Die Quote der Sendung, die früher regelmäßig etwa 5 Millionen Zuschauer erreichte, schwächelte seit einiger Zeit. Unmittelbar nach Bekanntgabe ihres bevorstehenden Abschieds erreichte "Sabine Christiansen" bei den von der Werbewirtschaft für relevant gehaltenen Zuschauern gar nur einen Marktanteil, der dem des weithin unbekannten, schnell abgesetzten "Talk der Woche" bei Sat.1 entsprach. Peinlich, unangenehm - aber doch wenig erstaunlich. In Zeiten einer großen Koalition haben es die Dramaturgen von Parteienstreit nicht leicht. Die Redaktionen anderer politischer Sendungen kämpfen derzeit ebenfalls bergauf.
Auch inhaltlich lässt sich der Imageverlust von Sabine Christiansen kaum begründen. All das, was ihr jetzt von Medienkritikern genüsslich vorgehalten wird, konnte ihr schon kurz nach dem Start ihrer Sendung vor fast zehn Jahren vorgeworfen werden - und es wurde ihr vorgeworfen. Journalisten-Darstellerin und Queen Blabla wurde sie genannt. Mit unschlagbarer Unbedarftheit würden in ihrer Talkshow "die Wünsche der Chefetage ans Volks durchgereicht," bemängelte van Rossum.
Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie der Organisation Lobby Control untermauert die harschen Urteile. Akribisch wurde darin nachgewiesen, dass Wirtschaftsvertreter im Untersuchungszeitraum mehr als dreimal häufiger in die Sendung eingeladen wurden als Gewerkschafter. Von Bürgerinitiativen oder Verbraucherorganisationen ganz zu schweigen. Fazit der Forscher: "Christiansen spielt die Stichwortgeberin für einen neoliberal geprägten Reformdiskurs."
Überrascht das irgendjemanden? Für die Erkenntnis, dass die Christiansen-Talkshow nicht der Hort fundamentaler Systemkritik war, bedurfte es keiner Studie. Auch die Tatsache, dass die Runde wieder und wieder aus den immer gleichen Gästen bestand, war allen bekannt, die sonntags regelmäßig den Fernseher einschalteten.
Politisch bleibt die Fixierung auf wenige Auserwählte übrigens nicht folgenlos: Wenn der Promi-Faktor eine größere Rolle spielt als die Sachkenntnis, ist es kein Wunder, dass das Publikum den Eindruck gewinnt, Politiker spulten stets dieselben Phrasen ab, egal, um welches Thema es geht. Und außerdem glaubt, fast alle Abgeordneten seien faul. Schließlich treten sie ja nie im Fernsehen auf.
Die Vorwürfe an Sabine Christiansen sind also zwar einerseits durchaus berechtigt, andererseits aber eben nicht neu. Neu ist ja auch nicht, dass sie in ihrer Sendung über Jahre hinweg ein apokalyptisches Bild von Deutschland am Abgrund malte, in dem Blockierer und Besitzstandswahrer verhindern, dass entschlossene Reformer endlich dafür sorgen dürfen, alle an den Segnungen der Globalisierung teilhaben zu lassen. Dieses Bild ist realitätsfern, verzerrt und reaktionär. Hat aber der Beliebtheit der Sendung lange keinen Abbruch getan.
Im Gegenteil. Allem Alarmismus zum Trotz strahlte die Talkshow etwas ungemein Beruhigendes aus. Es herrschte in den letzten Jahren eben gerade kein Stillstand in der Bundesrepublik - die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen griffen unmittelbar in den Alltag der Bevölkerung ein. Einer Bevölkerung, die in immer stärkerem Maße das Gefühl hat, die Entwicklung werde von schwer greifbaren Mächten geleitet, die niemand mehr zu benennen oder gar zu kontrollieren vermag.
Diesem Gefühl wirkte Sabine Christiansen entgegen. Ihre unfreiwillig ausgesandte Botschaft: Solange die immer gleichen politischen Repräsentanten die Zeit finden, jeden Sonntag im Fernsehen die immer gleichen Kämpfe auszufechten - so lange kann die Lage so schlimm doch noch nicht sein. Zumal die Kämpfe fast immer auf vertrautem Terrain stattfanden: innerhalb der heimeligen Grenzen des Nationalstaates. Von der bedrohlichen Erkenntnis, dass die meisten relevanten Entscheidungen heute auf europäischer oder gar auf globaler Ebene getroffen werden, blieben die Zuschauer der Talkshow weitgehend verschont.
Wärmende Sicherheit einerseits, berechtigte Hoffnung auf ein Skandälchen andererseits. Die Christiansen-Sendung war weniger langweilig als ihr Ruf. Provokationen fanden im eng gesteckten Rahmen des offiziösen öffentlich-rechtlichen Fernsehens statt - aber sie fanden statt. Und sie gingen gelegentlich auch schief. Wie viele Stimmen die FDP einbüßte, weil Guido Westerwelle launig die "18" an seinen Schuhsohlen vorführte, wird sich nicht ermitteln lassen. Dass die Clownerie schlecht ankam, steht fest.
Die langjährige Beliebtheit von "Sabine Christiansen" ist also kein Wunder. Warum aber wandte sich das Publikum auf einmal ab? Ist das Justemilieu etwa nicht mehr tonangebend? Ist der Neoliberalismus am Ende? Ist ein tiefgreifender Gesinnungswandel in Deutschland zu verzeichnen? Ach was.
Am Niedergang von "Sabine Christiansen" ist nur Sabine Christiansen schuld. Sie hat die Spielregeln verletzt - und manches spricht dafür, dass sie das bis heute nicht einmal gemerkt hat. Am 22. November 2005 verfolgte sie die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin von der Besuchertribüne des Bundestages aus. An der Seite der Verlegerin Friede Springer, in unmittelbarer Nähe von Merkels Eltern. Sie machte ihrer Begeisterung so unverhohlen Luft, dass die Saaldiener einschreiten mussten. Damit hatte sie die Grenzen dessen überschritten, was das Publikum hinzunehmen bereit ist. Es sollte nur noch ein gutes halbes Jahr dauern, bis sie ihren Rückzug bekanntgab.
Die Moderatorin öffentlich-rechtlicher Streitgespräche darf eine politische Meinung haben, und sie darf sie auch äußern. Aber in dem Augenblick, in dem sie zu erkennen gibt, dass sie im politischen Erfolg einer Kandidatin oder einer Partei einen persönlichen Triumph sieht, hat sie verspielt. Von diesem Augenblick an ist sie nicht mehr glaubwürdig in ihrer Rolle, stellvertretend für die Zuschauer vorurteilsfrei genau die Fragen zu stellen, die alle gerne stellen möchten.
Die Parteilichkeit von Sabine Christiansen war Großbürgertum und Wirtschaftsführern lange gerade recht. Dass sie so dumm war, ihre Parteilichkeit offen zur Schau zu stellen, hat sie auf einen Schlag die Unterstützung dieser Kreise gekostet. Seither war - und ist - sie nicht mehr nützlich.
Die Zuschauer lassen sich - wie der Erfolg der Christiansen-Sendung zeigte - vieles gefallen. Aber nicht alles. Es gibt, auch das haben sie gezeigt, eine Grenze zwischen Akteuren und Beobachtern. Sie weisen Journalisten eine Rolle zu, und sie unterscheiden durchaus zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien. Friede Springer nimmt niemand ihre Parteilichkeit übel. Sie wird als gegeben vorausgesetzt.
Wie präzise weiß man in den Gremien der ARD zu unterscheiden? Mit dem Versuch, Günther Jauch als Nachfolger zu verpflichten, haben die Verantwortlichen gezeigt, dass sie nichts begriffen haben. Das soll nicht heißen, dass Jauch nicht imstande wäre, eine politische Sendung gut zu moderieren. Vermutlich könnte er das. Aber das Signal, das von der Personalentscheidung ausging, war fatal: Politik ist eine Sonderform der Unterhaltung. Promi heißt Quote. Und nur die Quote zählt. Koste es, was es wolle.
Das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Neun Millionen Euro im Jahr soll die Produktionsfirma, an der auch die Moderatorin selbst Anteile hält, für die Christiansen-Sendung bekommen haben. Für weniger Geld wäre auch Jauch nicht zu haben gewesen. Anne Will wird es dem Vernehmen nach billiger machen. Und das, obwohl ihr Job schwieriger ist als der ihrer Vorgängerin: Sie muss für ihre Arbeitgeberin verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Leicht wird das nicht.
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