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Chinas Reformer bremsen

Peking (ap) - Die Reformer in Chinas Führungsspitze sind auf die Bremse getreten und haben auf Sparen geschaltet. Manche chinesische Wirtschaftsexperten sind der Ansicht, die Reformer seien beim Bremsen in Schleudergefahr geraten und steuerten - einmal auf der Reformstraße - auf Hindernisse zu, die weit gefährlicher seien als die, denen sie hätten ausweichen wollen. Sagen die einen, die Führung wolle den beschworenen Geist der Reform in die Flasche zurückbugsieren, so halten andere dagegen, die Volksrepublik biete von ihrer Infrastruktur her einfach noch nicht die Voraussetzungen für den raschen Aufbau eines Marktes nach westlichem Muster, und die Führung müsse den Kurs korrigieren.

Die Führungsspitze in Peking hat im September vergangenen Jahres den Geld- und Kredithahn zugedreht, Sparmaßnahmen für öffentliche Baumaßnahmen verkündet und versucht, die Kaufwut auf sogenannte Luxusgüter einzudämmen, um der Gefahr der Überhitzung der Konjunktur zu begegnen. Die Inflationsrate kletterte 1988 auf die Rekordmarke von 36 Prozent. Die Industrieproduktion steigerte sich um rund 20 Prozent, was zu Engpässen bei Rohstoffen und bei der Energieversorgung führte. Manche Betriebe konnten aufgrund dieser Mangelsituation nur noch drei oder vier Tage die Woche arbeiten. Die landwirtschaftliche Produktion stagniert dagegen, die Getreideproduktion war 1988 mit 2,2 Prozent weniger sogar leicht rückläufig. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten forderte Ministerpräsident Li Peng in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Nationalen Volkskongreß auf, sich auf mindestens zwei „magere“ Jahre einzustellen. Zur Dämpfung der Konjunktur will die Regierung zum Beispiel 14.400 Wohnungsbauprojekte verschieben oder streichen.

Der Pekinger Volkswirtschaftler Yang Tiren warnte vor konjunkturdämpfenden Maßnahmen. Chinas Wirtschaft sei schon in einer Phase der Rezession, was sich daran zeige, daß Millionen aus ländlichen Gebieten in die Städte strömten, weil auf dem Land aufgebaute Fabriken ihre Tore schlössen. Die Rezession werde die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität Chinas stärker gefährden, als es die Inflation je tun könnte, sagt Yang. Die Pekinger Führung hatte offenbar Angst vor sozialer Unruhe infolge der Teuerung. Tiefgreifende Reformen, die zum politischen Konzept des chinesischen Spitzenpolitikers Deng Xiaoping gehören, wurden entweder aufgeschoben oder sogar teilweise rückgängig gemacht.

Fabriken, die einige Freiheit von zentraler Lenkung erhalten hatten, müssen sich jetzt wieder um Erlaubnis für eine Ausweitung der Produktion und für Preiserhöhungen bemühen. Pläne, die Preise von subventionierten Grundnahrungsmitteln freizugeben und dem Spiel des Markts zu überlassen, sind auf die lange Bank geschoben worden. Die Zentralgewalt in Peking zog Kompetenzen wieder an sich, die sie an Provinzen und Kommunen abgegeben hatte. Kürzlich verordnete Peking, daß private Geschäftsleute neue Steuern zahlen müßten.

Der stellvertretende Direktor bei der staatlichen chinesischen Preisbehörde vertrat die Ansicht, Chinas Infrastruktur sei nicht weit genug entwickelt für ein Marktsystem westlichen Stils. Ein zu hohes Tempo bei den Reformen habe zu Inflation geführt und das Gefüge der Wirtschaft gestört. Das Sparprogramm der Regierung stehe nicht für Rückzug. Es diene vielmehr dem Ziel, das Haus der chinesischen Wirtschaft in Ordnung zu bringen, bevor Umbauten vorgenommen werden.

Kathy Wilhelm (ap)/woz

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