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Chinas KP-Chef übt den Balanceakt

Jiang Zemin eröffnet den KP-Parteitag mit einer von Kompromissen gezeichneten Rede/ „Sozialistische Marktwirtschaft“, aber weiter dominierende ökonomische Rolle des Staates  ■ Aus Peking Catherine Sampson

Die kommunistischen Parteigläubigen Chinas sind seit gestern im Tempel des chinesischen Marxismus versammelt, um ihre neue frohe Botschaft zu hören: Kapitalismus ist gut - in Grenzen -, und Demokratie ist schlecht.

Der KP-Kongreß in der Großen Halle des Volkes zu Peking ist der erste seit den Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz im Frühsommer 1989 und dem Zusammenbruch eines Großteils der kommunistischen Welt. Es wäre eine gute Gelegenheit für politische Reformen gewesen - aber statt dessen wählte Parteivorsitzender Jiang Zemin in seiner Eröffnungsrede die Vogel-Strauß- Strategie. „Das Ziel dieser Reform ist der Aufbau einer den chinesischen Verhältnissen angepaßten sozialistischen Demokratie“, war seine einzige Bemerkung zum Thema politische Reformen. „Es handelt sich absolut um kein westliches parlamentarisches Mehrparteiensystem.“ In seiner fast zweistündigen Rede betonte Jiang die von ihm so genannte „sozialistische Marktwirtschaft“. Er zählte eine Reihe von Reformen auf: Preisliberalisierung, Effizienzmaßnahmen in der staatlichen Industrie, Heraushalten der Regierung aus dem Unternehmensmanagement und Experimente mit Aktien. Aber das geht nicht über das bereits Bestehende hinaus und kann kaum als die „neue Revolution“ bezeichnet werden, die Jiang in seiner Rede ansprach.

Es war eine von Kompromissen gezeichnete Rede, und das deutet darauf hin, daß der konservative Parteiflügel die Deng-Vision radikaler Wirtschaftsreformen erfolgreich zurückgeschraubt hat. Im Januar hatte Deng gesagt, man könne mit der Wirtschaft alles machen, solange es dem Land nützt und die Partei ihre beherrschende Rolle behält. Jiang fügte dem gestern hinzu, daß die Wirtschaft weiterhin vom öffentlichen Eigentum bestimmt bleiben müsse.

„Wir müssen erkennen, daß der Markt seine eigenen Schwächen hat“, sagte der Parteichef. Der staatliche Plan bilde ein wichtiges Element der volkswirtschaftlichen Kontrolle. Spekulationen chinesischer Ökonomen in den letzten Wochen, aus der „sozialistischen Marktwirtschaft“ könne das Wort „sozialistisch“ gestrichen werden, erfüllte Jiang nicht. Statt dessen berichtete die Zeitung China Daily gestern, die Hardliner würden lieber das Wort „Marktwirtschaft“ streichen. Jiang sagte abschließend: „Wir sind überzeugt, daß eine unter dem sozialistischen System etablierte Marktwirtschaft besser operieren könnte und sollte als eine, die unter dem kapitalistischen System etabliert wurde.“

Sehr, sehr alt

Die Rede wurde per Lautsprecher über den Tiananmen-Platz ausgestrahlt, was die wenigen Touristen überraschte. Sie waren gekommen, um die Blumenrabatte zu bewundern, fanden aber Polizeisperren vor. Vor der Großen Halle parkten ein Feuerwehrauto und drei Krankenwagen, um auf eventuelle Notfälle unter der rar gewordenen Spezies treuer Parteitagsanhänger des kommunistischen Weges rasch reagieren zu können. Zum selben Zwecke im Gebäude selber wurden die Beobachter auf der Publikumsgalerie davor gewarnt, ihre Taschen über das Geländer auf die Delegiertenköpfe fallen zu lassen.

Denn viele der 2.000 Delegierten sind sehr, sehr alt. Manche sind auf die Hilfe jüngerer Adjutanten angewiesen. Drei sind bereits vor dem Parteitag gestorben. Statt 1.992 Delegierte, wie aufgrund der gegenwärtigen Jahreszahl geplant, gibt es daher nur noch 1.989 - eine Anspielung, die die Parteitagsregie wohl lieber vermieden hätte.

Linke Bastion wird aufgelöst

Peking (AFP) - Bereits am Sonntag war in Peking offiziell mitgeteilt worden, daß die Zentrale Beraterkommission unter Führung des Altkommunisten Chen Yun während des Parteitags aufgelöst werden soll. Die Kommission gilt als Bastion der älteren Spitzenfunktionäre und hatte in den 80er Jahren die Wirtschaftsreformen immer wieder gebremst. Verjüngt werden sollen das Zentralkomitee, das Politbüro und dessen Ständiges Komitee.

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