: China: Arbeiter und Studenten verbrennen Parteipresse
Nach scharfen Angriffen der Parteipresse gegen „Studenten, die stinken und faul sind“, zogen Demonstranten zum Verlagsgebäude des 'Pekinger Tagblatts‘ / Studenten provozieren mit Schandhüten: „Ich bin ein Konterrevolutionär und gehöre beseitigt“ ■ Aus Peking Th.Reichenbach
In Peking intensiviert die chinesische KP-Führung ihre Propaganda gegen die trotz Kriegsrechts weiter demonstrierenden Arbeiter und Studenten. Besonders die autonomen Arbeitergruppen, die in den vergangenen Tagen begannen, eine von der Kommunistischen Partei unabhängige Bewegung aufzubauen, waren gestern Ziel scharfer Attacken der staatlich gelenkten Presse. Die gestrige Ausgabe der 'Volkszeitung‘ veröffentlichte einen Aufruf von Leitungskadern aus 40 Staatsbetrieben, der ein sofortiges Verbot der „illegalen Organisation“ verlangt.
„Am Tiananmen“, so die 'Volkszeitung‘ weiter, „hat die Organisation Lautsprecher installiert, um die Menschen in die Irre zu leiten.“ Trotz der verordneten Linientreue, versuchen Journalisten der parteiamtlichen 'Volkszeitung‘ immer wieder, die Zensur zu überlisten. Auf der gestrigen Titelseite wurde berichtet, wie rührend sich die Studenten um die Kinder gekümmert hätten, die am „Feiertag des Kindes“ zum Tiananmen gekommen waren, „da der Volkskulturpalast und der Zhongshan-Park leider nicht geöffnet hatten“. Der Leser war so gewarnt: Die Parks in unmittelbarer Nähe des Platzes waren voll von Militär und deshalb geschlossen. Die Armee ist mit starken Kräften auch am Bahnhof präsent, nur zwei Kilometer vom Platz entfernt.
Eine Welle der Empörung löste unter den Studenten die gestrige Ausgabe des 'Pekinger Tageblatts‘ aus. Wegen ihrer reaktionären Berichterstattung hatten Studenten der Peking -Universität die Zeitung schon während der Revolte 1986 auf dem Campus verbrannt. Schon in der Donnerstagsausgabe veröffentlichte das 'Tageblatt‘ einen offensichtlich fingierten Leserbrief, in dem ein „auswärtiger Student“ erklärt, wie „die Studenten auf dem Tiananmen vor Dreck starren und stinken, weil sie zu faul sind, sich zu waschen“. Gestern mittag zogen deshalb mehrere tausend Studenten und einige Dozenten der Peking-Universität in einem Protestzug zum Verlagsgebäude. Einige Studenten trugen hohe Papierhüte mit der Aufschrift: „Ich bin ein Konterrevolutionär und gehöre beseitigt.“ Andere hatten Masken mit den Gesichtszügen Li Pengs übergezogen und sich zusätzlich mit Schweinsohren und Rüssel dekoriert. Als der Zug den Tiananmen passierte, liefen Tausende zur Begrüßung vom Platz auf die Changan-Allee. Die kleine Gasse, in der das Verlagsgebäude liegt, vermochte die Massen der Studenten nicht aufzunehmen. Vor den Augen der Anwohner und der Verlagsangestellten, die aus den Fenstern das Geschehen verfolgten, wurde bündelweise das 'Tageblatt‘ zerrissen und verbrannt. „Das 'Pekinger Tageblatt‘ quatscht Unsinn“, „Kettenhund Li Pengs“ und „Redakteure kommt raus“ riefen die Studenten im Wirbel der verkohlten Papierfetzen, doch kein Verantwortlicher ließ sich blicken.
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