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Chile will Todeskandidaten–Liste

■ Zwei der 14 von Todesstrafe Bedrohten sind nach Angaben der chilenischen Junta seit 1983 frei / Minister Kiechles Ausfälle gegen „Terroristen“ / Katholisches Hilfswerk Misereor: In Chile wird nachweisbar gefoltert

Berlin (dpa/taz) - Die chilenische Regierung hat am Freitag erstmals die Bundesregierung aufgefordert, ihr eine Liste mit den Namen der 14 von der Todesstrafe bedrohten Häftlingen zu übergeben. Das chilenische Außenministerium will, wie es in Santiago heißt, geklärt wissen, ob die BRD und Chile ein und dieselben Personen meinen. In dem Schreiben an die Bundesregierung behauptet die Junta, daß unter den in der Bundesrepublik bekannten Namen auch diejenigen von zwei Frauen seien, die bereits seit 1983 auf freiem Fuß wären. Bei den 15 Gefangenen handelt es sich um 13 Männer und zwei Frauen, Cecilia Radrigan und Miriam Ortega. Nach gesicherten Informationen der taz befinden sich beide nach wie vor in Haft. Zudem geht es nicht um 14, sondern um 15 Gefangene. Bei dem fünfzehnten handelt es sich um Abraham Bustos, gegen den der Militärstaatsanwalt im Mai die Todesstrafe beantragt hat. Abraham Bustos hat im Gegensatz zu den anderen allerdings noch keinen Asylantrag für die Aufnahme in die BRD gestellt. Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle (CSU) hat sich am Sonntag mit groben Ausfällen gegen die Todeskandidaten zu Wort gemeldet. „Wer von diesen sogenannten Widerstandskämpfern in Chile selbst mordet, für den würde ich niemals meine Hand heben, um ihm hier Asyl zu geben“, meinte der Minister in einem Interview. Der katholischen Kirche liegen währenddessen ebenfalls „konkrete Beweise vor, daß in Chile gefoltert wird“, betonte jetzt der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Herkenrath. Der „gewaltsame Widerstand gegen eine Diktatur“ könne moralisch gerechtfertigt sein, erklärte er. Unterdessen hat der Streit um die innenpolitischen Folgen der Auseinandersetzung an Schärfe nicht nachgelassen. Selbst der eher zugeknöpfte Finanzminister Stoltenberg meldete sich zu Wort: „Ich unterstütze das Engagement meines Freundes Norbert Blüm für Menschenrechte und gegen die Folter in Chile wie in anderen Ländern mit großem Nachdruck“. Er riet indes allen, die öffentliche Auseinandersetzung jetzt zu beenden. Der SPD–Oppositionsführer Vogel meldete beim Bundestagspräsidenten Jenninger sogar Zweifel am Fraktionsstatus von CDU und CSU an. Laut Geschäftsordnung des Bundestages könnten nur nicht miteinander konkurrierende Parteien eine Fraktion bilden, sofern sie gleichgerichtete politische Ziele verfolgten. Innenminister Zimmermann (CSU) erteilte indes Spekulationen eine Absage, wonach seine Partei die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU kündigen wolle, meinte aber, daß „wir soweit noch nicht sind, hoffentlich noch lange nicht“, auch wenn Veränderungen im Parteienspektrum nie ganz auszuschließen seien. Auch CSU–Landesgruppenchef Waigl, der wie Zimmermann eine Öffnung der CDU nach links ausschloß, hielt die vor Jahren in Kreuth geführte Diskussion über eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft, „heute nicht für aktuell“. Grundsätzlich müßten alle, Arbeitnehmer und Industrielle, Mittelständler und Bauern, ihre Identität bei den Volksparteien CDU und CSU behalten. Dazu gehörten ein „vernünftiges Nationalgefühl, ein wachsendes Heimatgefühl und die Prinzipien Solidarität und Subsidiarität“. Hier dürfe keine politische Richtungsänderung erfolgen, warnte der CSU–Mann, der Geissler vorwarf, in der Vergangenheit zu kramen. Dessen Politik „ist kein Rezept für die Zukunft“, meinte Waigl. Auch FDP–Generalsekretär Haussmann macht bei dem unionsinternen Streit eine „grundsätzliche Strategiefrage“ aus. „Im Kern“, so Haussmann, „geht es darum, wo letztlich der Platz der Unionsparteien in einem sich ständig wandelnden Parteiensystem ist“. Der FDP–Politiker warnte in diesem Zusammenhang allerdings vor dem Entstehen einer neuen Rechtspartei. Prof. Günter Rohrmoser forderte dagegen die CSU auf, aus dem Kabinett auszuziehen und sich bundesweit auszubreiten. bmm/time

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