Chile in der OECD: Erstes südamerikanisches Mitglied
Unter Präsidentin Michelle Bachelet kann das Mitte-Links-Bündnis die Anforderungen der OECD erfüllen und wird das erste südamerikanische Land im Bündnis.
SANTIAGO DE CHILE taz | Kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit erlebte die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet noch eine große internationale Anerkennung. Zwar nicht sie persönlich, aber in den Geschichtsbüchern wird einmal stehen: Unter Präsidentin Bachelet wurde Chile in die OECD aufgenommen.
Nach zwei Jahren Verhandlungen wurde die Aufnahme Chiles als 31. Mitglied in der Hauptstadt Santiago vollzogen. Neben Mexiko ist der Andenstaat dann das zweite lateinamerikanische Land, das der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angehört, und das erste in Südamerika überhaupt.
Ein Ziel der 1961 gegründeten und aus dem Marschall Plan hervorgegangenen OECD ist, Demokratie und Marktwirtschaft sowie den Welthandel zu fördern. Und da kann sich Chile sehen lassen. Die Marktwirtschaft und Marktöffnung wurde 1973 mit Beginn der Herrschaft von General Augusto Pinochet diktatorisch eingeführt.
Seit 1990 und nach Pinochets Abgang, führt das seit nunmehr fast 20 Jahren regierende Mitte-Links-Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten und Sozialisten das Modell unter stabilen demokratischen Vorzeichen nahezu unverändert fort. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in der Zeit von 1985 bis 2002 pro Kopf der rund 16,5 Millionen Einwohner verdreifacht. Zudem hat Chile heute mit 56 Staaten Freihandelsabkommen, weit mehr als jeder Nachbarstaat in der Region.
Doch nach Jahren eines stetigen Wirtschaftswachstums von teilweise mehr als fünf Prozent, ist das Bruttoinlandsprodukt nach den Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent geschrumpft. Die internationale Finanzkrise und der mit ihr einhergehende Absturz der Weltmarktpreise für Rohstoffe hatten die Achillesverse der chilenischen Wirtschaft offenbart. Ihr Wohlergehen hängt von den Erlösen aus den Rohstoffexporten ab. Nach Expertenschätzungen stammen sieben von zehn Dollar aus den Exporterlösen von Rohstoffen. Kupfer, Wein, Obst, Lachs, Holz und Zellulose tragen heute auf dem Weltmarkt oftmals das Zeichen "Made in Chile."
Chile ist der weltweit größte Lieferant von Kupfer. Als im Juli 2008 der Kupferpreis von 8.400 US-Dollar pro Tonne auf 2.850 pro Tonne im Dezember 2008 zerbröselte, bekam auch Chile die Auswirkungen der Finanzkrise deutlich zu spüren. Dazu gesellte sich die Lachslaus, die viele Zuchtlachsfarmen in den Ruin trieb. Die große Sympathie der Bevölkerung für Präsidentin Michelle Bachelet stammt denn auch vorwiegend aus der Zeit des Krisenmanagements. Da sie 2008 mit den Einnahmen aus den vorangegangenen fetten Jahren einen milliardenschweren Konjunkturhilfefonds anlegen ließ, konnte die Präsidentin daraus mit rund vier Milliarden Dollar für Konjunkturprogramme und Beihilfen erfolgreich gegensteuern.
Auch bei der Bekämpfung der Armut gibt sich die Regierung selbstbewusst. Nach ihren Angaben ist die Armut in den letzten Jahrzehnten erheblich gesunken. Offiziell von rund 39 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1990 auf knapp 14 Prozent im Jahr 2006. Trotzdem hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Chile liegt hinter Brasilien an zweiter Stelle der Ungleichverteilung des Einkommens in Südamerika.
Bemisst man Chile mit dem Gini-Koeffizienten, der die durch das Einkommen verursachte Ungleichheit misst, liegt Chile auf der Höhe von Sambia und Zimbabwe. Noch immer ist die soziale Grenze zwischen oben und unten mit dem Messer gezogen und wenn, dann nur nach unten durchlässig. Auch 20 Jahre nach der Pinochet-Diktatur herrscht in Chile noch immer soziale Immobilität.
Heute sind die Wirtschaftsaussichten bei einem Kupferpreis von mehr als 7.000 US-Dollar pro Tonne wieder beruhigender. Die Prognosen sagen für 2010 ein Wachstum von fünf Prozent vorher. Doch was, wenn die Rohstoffvorkommen zu Ende gehen und der Raubab- und -anbau in die ökologische Sackgasse geführt hat? Keiner der beiden Kandidaten, die am Sonntag bei der Stichwahl um das Präsidentenamt antreten gibt darauf eine Antwort. Der nächste Präsident, ob von Rechts Sebastián Piñera oder von Mitte-Links Eduardo Frei, wird am Wirtschaftskurs nichts ändern.
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