Europäische Kulturhauptstadt in Ostdeutschland: Chemnitz ist nicht mehr „unseen“

Chemnitz wird europäische Kulturhauptstadt 2025. Durch Akzentverschiebung konnte sie sich aus dem Negativimage befreien.

Stadtansicht - Chemnitz aus der Vogelperspektive mit dem alten und dem neuen Rathaus

Chemnitz: europäische Kulturhauptstadt 2025 mit dem alten und dem neuen Rathaus Foto: Rainer Weisflog/imago

Um 13.27 Uhr brachen am Mittwoch in der Chemnitzer Stadthalle minutenlang Freudenschreie aus und Freudentänze los. Nach der Entscheidung der internationalen Jury für Chemnitz als eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte 2025 war noch zu spüren, dass man aus der Defensive kam. Der Bewerbungsslogan „C the unseen“ drückt das gut aus.

„Was in Chemnitz erarbeitet wird, wird in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst“, lautet ein altes sächsisches Sprichwort. In der Industriestadt waren einst die Einkommen fast die höchsten in Deutschland, dann kam das Schmuddel­image. Arbeiterstadt, im Zweiten Weltkrieg auch noch seines Zentrums beraubt. Die ausländerfeindlichen Krawalle nach dem Tötungsverbrechen beim Stadtfest 2018 schienen nur eine logische Folge zu sein.

Die drittgrößte sächsische Stadt ist ein Beispiel dafür, wie man sich durch Akzentverschiebung aus dem Negativimage befreien kann. Vor 15 Jahren wurde über die Selbsttitulierung als „Stadt der Moderne“ noch gelacht. Unter Ingrid Mössinger aber erwarben sich die Städtischen Kunstsammlungen und das Museum Gunzenhauser internationale Reputation.

Das Mehrspartentheater hat einen guten Stand. Der Zweckverband Sächsisches Industriemuseum hat hier seinen Hauptsitz, das einzige Landesmuseum außerhalb Dresdens ist das für Archäologie im ehemaligen Schocken-Kaufhaus. Vor allem aber sind Szenen, junge Galerien und Initiativen entstanden, etwa der Spinnerei e. V.

Chemnitz hatte sich Ferenc Csák als Bewerbungschef und Kulturamtsleiter geholt, der schon 2010 das ungarische Pécs zur europäischen Kulturhauptstadt führte und mit der Kulturhauptstadtbewerbung eine Breitenwirkung in die Stadtgesellschaft hinein erzielt. Der ebenso clevere wie sympathische Csák kennt den Jurytrend der vergangenen Jahre, den Entwicklungs- und Integrationsgedanken in den Vordergrund zu stellen.

Die scheidende Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig lobte nach dem Nominierungserfolg die „gewagte, unkonventionelle Verbindung zwischen kulturellen Spitzenleistungen und Autodidakten“. Gern wird in diesem Zusammenhang das Programm der 3.000 zu gestaltenden Garagen erwähnt. Die Jury hat also einen beachtlichen Ausbau gewürdigt und die sich fortsetzenden Entwicklungslinien für tragfähig genug erachtet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.