: Chemiker diskriminieren nicht
■ Grundsätze–Erlaß aus dem Wissenschaftsministerium sorgt für Aufregung / Jede Hochschule soll Frauenbeauftragte bestimmen / Schritt zum Abbau der Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen
Aus Frankfurt Heide Platen
„Jede Hochschule hat eine Frauenbeauftragte zu bestimmen“, heißt es zu Beginn des „Grundsätze–Erlasses“, der den hessischen Hochschulen seit einigen Tagen auf dem Tisch liegt. Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Vera Rüdiger, wird ihn zum Sommersemester 1987 in Kraft setzen. Bis dahin soll er, zusammen mit einer 400seitigen Dokumentation, für Aufregung sorgen. In dem Erlaß, den die Ministerin gestern in Wiesbaden der Presse vorstellte, heißt es weiter: „Jede Hochschule hat einen Frauenförderplan aufzustellen.“ Die Benachteiligungen von Frauen im Wissenschaftsbetrieb sollen analysiert und abgebaut werden. Stellenbesetzungen, einschließlich der Professuren, und die Vergabe von Stipendien dürfen nur noch in Gremien geschehen, in denen mindestens auch zwei Frauen sitzen. Bei Stellenbesetzungen sollen Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden. Dies gilt für den gesamten universitären Bereich. Der Erlaß traf die Hochschulen nicht unvorbereitet. Sie hatten vorab ein Diskussionspapier der Ministerin an ihre Fachbereiche weitergeleitet. Deren Stellungnahmen sind in der Dokumentation „Frauenforschung und Frauenförderung an den hessischen Hochschulen“ nachzulesen. Neben ernsthafter Auseinandersetzung, Herablassung und dem Vorschlag, Kinderkrippen in den Universitäten einzurichten, gibt es auch höchst mißmutige Schreiben. Die Veterinärmediziner in Gießen zum Beispiel kontern harsch, daß Frauenforschung nicht ihre Sache sei, denn ihre Aufgabe sei es, „kranke Tiere zu behandeln und deren Krankheitsursachen zu erforschen“. Der Blick in die Besetzung ihres eigenen Lehrkörpers blieb ihnen verstellt. Die Frankfurter Mathematiker meinen, daß ihre Studentinnen ohnehin lieber Lehrerinnen werden wollten. Und für die Lehrerarbeitslosigkeit sei das Ministerium zuständig und nicht sie. Die Chemiker der Mainmetropole versichern, „in der Vergangenheit keine Frauen diskriminiert zu haben und daß sie dies auch in Zukunft nicht beabsichtigen“. „Ich bin mir darüber klar, daß es ein langer Prozeß sein wird“, sagte Vera Rüdiger zum Abschluß der Pressekonferenz.
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