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Charles de Kohl?

■ In Frankreich haben sich die Bedenken zugunsten einer Kanzler-Begeisterung gewandelt

Nichts ist erstaunlicher als der Wandel des Kanzler-Bildes in der französischen (sogenannten) Öffentlichkeit. Während sich die meinungsmachenden Blätter noch im Frühjahr darin überboten, vor dem „Grosse Allemagne“ zu warnen und wie selbstverständlich in das Vokabular der Vorkriegszeit verfielen - ja die Karikaturisten dem Pfälzer gar eine Pickelhaube verpaßten -, so hat sich inzwischen allgemeine Bewunderung breitgemacht.

Wendepunkt war - dies spricht für sich - die populäre Fernsehsendung Stunde der Wahrheit, Anfang April, in der sich mit Kohl zum ersten Mal ein ausländischer Regierungschef den Fragen von Journalisten aussetzen durfte. Der Erfolg war ebenso verblüffend wie durchschlagend: die Kohlsche Mischung aus biederer Selbstgefälligkeit, platten, also allgemeinverständlichen Politweisheiten und redlicher Behäbigkeit wurde vor den Bildschirmen als Bonhomie verstanden, die in der Heimat der politischen Darstellungskünstler durchaus positiv auffällt: „Tiens, der Mann hat ja überhaupt nichts Gefährliches an sich, eigentlich sogar sehr sympathisch“ - zumal sich Kohl unter dem Druck von Fran?ois Mitterrand auch zu einigen beruhigenden Äußerungen in Sachen Oder-Neiße bequemt hatte.

Seither ist „Cher Helmut“ populär im Volk und angesehen bei den professionellen Deutern. Selbst die sehr kritische 'Le Monde Diplomatique‘ gesteht dem Bundeskanzler den politischen Meistertitel „höchstes Geschick“ zu und spricht angesichts seiner Fähigkeit, politische Ziele wirtschaftlichen Erwägungen voranzustellen, von einem „de Gaulleschen Vorgehen“. Kein kleines Lob im Jubiläumsjahr des Generals... Kohl stehe mit seinem deutsch-deutschen Parforce -Ritt in der europäischen Politikerriege heute als die „Force tranquille“, die stille Kraft, da, als die sich Mitterrand 1981 wählen ließ.

Und zwischen den Zeilen vieler Kommentare wird Kritik am eigenen Staatspräsidenten deutlich, von dem im zweiten Septennat nur noch viel Stille, aber wenig Krfat übriggeblieben ist.

Obwohl seit Rapallo nichts in der deutsch-französischen Diplomatie so heikel ist wie Annäherungen und Verträge zwischen Bonn/Berlin und Moskau, beschränkten sich auch gestern die kritischen Stimmen auf die kommunistische 'Humanite‘, die von einer „schlechten Nachricht“ sprach: „Nachdem er seine Fang-Strategie in der DDR erfolgreich zum Ziel geführt hat, setzt sich das neue Deutschland des Helmut Kohl - vom Wirtschaftskoloß zum politischen Riesen geworden

-neben die USA an die Spitze des größten Militärbündnisses der Welt.“ Der gaullistische 'Le Quotidien‘ warnte unter der Überschrift „Deutschland ist frei“ sogar explizit vor Vergleichen mit Bismarck und Ribbentrop angesichts der neuen Achse Helmut-Michail. 'Liberation‘ schwärmt neidlos vom „Meisterstück des Kanzler Kohl“.

Seit den „Verstimmungen“ zwischen Kohl und Mitterrand nach der Verkündigung des „Zehn-Punkte-Plans“ im November, als der französische Präsident als elften Punkt eine Festlegung zur polnischen Westgrenze vermißt hatte, sucht die Pariser Diplomatie jeden Dissens mit Bonn zu vermeiden. Als letzten Mittwoch Gerüchte gestreut wurden, Frankreich würde Polens Forderungen unterstützen, die völlige deutsche Souveränität an einen vorherigen endgültigen Grenzvertrag zu binden, beeilte sich das Außenministerium unverzüglich, seine Unterstützung der bundesdeutschen Position bekanntzugeben. Zum Trost über soviel Realpolitik wurde dann einen Tag später noch einmal Grandeur inszeniert - mit der alljährlichen Truppenparade zum Nationalfeiertag.

Alexander Smoltczyk, Paris

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