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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwand Chaplins Brötchentanz ganz philharmonisch

Bert Brecht hat 1926 den Film „erst ziemlich spät angesehen, weil die Musik, die in dem Haus, wo er läuft, gemacht wird, so überaus scheußlich und unkünstlerisch ist.“ Und später warnten Kritiker vor der 1942 von Chaplin selbst vertonten Fassung von „Goldrausch“. Dabei hatte er damals die Musik für sie selber geschrieben, und Chaplin war einer der wenigen Filmemacher, die auch komponieren konnten. Das Ergebnis: eine gute Originalmusik, jedoch in einer schlechten Filmfassung, die nicht nur brutal gekürzt, sondern in der Chaplin auch noch als völlig überflüssiger Erzähler zu hören war.

Als 1989 die Urfassung von „Goldrausch“ restauriert wurde, bekam der Komponist und Filmmusikhistoriker Carl Davis den Auftrag, Film und Musik endlich optimal zusammen zu bringen. Seine Partitur spielt nun das Bremer Landesorchester unter der Leitung von Stefan Geiger in der Glocke live und synchron zum Stummfilm.

Jedes Jahr gibt es ein solches Kinoprojekt des Orchesters in Zusammenarbeit mit dem Kino 46. Doch in dessen Kinosaal war zuletzt kaum noch Platz für das Publikum gewesen, wenn die Musiker vor der Leinwand saßen. Deshalb finden diese orchestral-begleiteten Stummfilmvorführungen mittlerweil in der Glocke statt. So war dort im vergangenen Jahr Fritz Langs „Metropolis“ zu sehen und zu hören. Diesmal ist es allerdings zumindest akustisch schwieriger für das Orchester, denn es wird gegen ständiges lautes Lachen aus dem Publikum anspielen müssen!

„Goldrausch“ ist eine der gelungensten und reinsten Komödien von Charles Chaplin. Seine Sentimentalität und sein politisches Sendungsbewusstsein waren 1925 noch nicht so ausgeprägt wie in seinen nächsten großen Filmen „City Lights“ und „Modern Times“. Hier wollte er „nur“ gut unterhalten, und deshalb ist der Film gespickt mit Szenen, die inzwischen zu Klassikern geworden sind: Der verspeiste Schuh mit den Schürbändern als Spaghetti, die Jagd in der Holzhütte, bei der der riesige, ausgehungerte Goldsucher unbedingt den kleinen Tramp fangen will, weil er ihn als leckeres Huhn vor sich sieht, oder die Sequenz, in der Chaplin Gabeln in zwei Brötchen steckt und diese zu tanzenden Ballerinen-Beinen werden.

Charlie ist hier der ebenso hilflose wie perfekte Gentleman in einer Welt voller Grobiane und Bären, doch mit seiner Ritterlichkeit gewinnt er schließlich sowohl das Gold wie auch das schöne Mädchen. 1958 wurde „Goldrausch“ in Brüssel von einer internationalen Jury nach Eisensteins „Potemkin“ zum zweitbeste Film aller Zeiten gewählt. und Erich Kästner hat beschrieben, wie „Goldrausch“ bei seiner Wiederaufführung 1945 von den Deutschen aufgenommen wurde: „Wenn man abends an den Kinos vorbeigeht, hört man, bis auf die Straßen hinaus, wie die armen, unterernährten und tiefbekümmerten Bayern, Schwaben und Badenser so laut lachen, dass die Trümmer in der Nachbarschaft wackeln.“

Wilfried Hippen

Charlie Chaplin / Landesjugendorchester: Goldrausch. Glocke, großer Saal, nur Samstag, 20 Uhr und Sonntag, 16 Uhr