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Chaos statt Demo

Das Verbot der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ macht die Situation in Berlin unübersichtlicher denn je

BERLIN taz ■ Chaos in Berlin – in diesem Jahr beginnt es schon vor dem 1. Mai. Das Verbot der so genannten Revolutionären Mai-Demonstration linker Gruppen durch Innensenator Eckart Werthebach (CDU) führt zu einer unübersichtlichen Situation. Aus den Reihen der Polizei wird bereits Kritik an der Verbotsverfügung laut.

Bisher ist unklar, ob die Maßnahme des Innensenators vor dem Verwaltungsgericht der Stadt überhaupt Bestand hat. Das Verbot einer ebenfalls für den 1. Mai angemeldeten Demonstration der extrem rechten NPD wurde von den Richtern bereits am Mittwoch aufgehoben. Dass die linke Veranstaltung nach dem derzeitigen Stand verboten ist, die Rechten aber marschieren dürfen, sorgt für zusätzliche Aufheizung.

Die linke Szene der Hauptstadt gibt sich entschlossen, das Verbot ihrer seit 1988 stattfindenden Demonstration nicht tatenlos hinzunehmen. Die Autonomen wollen überall aktiv sein, auf der Mai-Veranstaltung des DGB einen „internationalistischen Block“ formieren und sich dem Nazi-Aufmarsch „mit allen Mitteln“ entgegenstellen.

So droht der 1. Mai für die Berliner Polizei unübersichtlicher denn je zu werden. Die Randale im Anschluss an die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration – sie war in den letzten Jahren vorprogrammiert und für die Beamten damit leichter berechenbar. Im vergangenen Jahr hatte Werthebach den Aufzug der Linken nach Kreuzberg verlegt, um zu verhindern, dass die alljährlichen Ausschreitungen im Regierungsbezirk Mitte stattfinden.

Für den diesjährigen Tag der Arbeit ist aber wenige Tage vorher noch alles unklar. Man wartet auf die Entscheidung der Richter, linke Gruppen mobilisieren allerdings unbeirrt weiter zu der untersagten Demonstration. Ihr Kalkül: Wird das Verbot bestätigt, kommen die Leute trotzdem – oder erst recht. Die Revolutionäre 1.-Mai-Demo, bis zur Verfügung Werthebachs von vielen autonomen Szene-Oldies als „unpolitische Mai-Festspiele“ verschrien und mit der Love Parade gleichgesetzt, ist auf einmal wieder interessant geworden. Frühere Streitigkeiten werden beigelegt oder zumindest ignoriert und angeblich hat sich aus dem Bundesgebiet bereits Verstärkung für die zu erwartenden Krawalle angekündigt.

Die Polizei will das Chaos mit fast 8.000 Beamten, zum Teil aus anderen Bundesländern und vom Bundesgrenzschutz, unter Kontrolle bekommen. Mit welchem Konzept – das scheint den Beamten selbst noch nicht klar zu sein. Hatte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky den Berlinern am Mittwoch noch geraten, am 1. Mai nicht ohne Personalausweis aus dem Haus zu gehen, und die Absperrung ganzer Stadtviertel nicht ausgeschlossen, relativierte eine Polizeisprecherin gestern diese Ankündigung: „Bestenfalls werden Kreuzungen kurzzeitig abgeriegelt.“

DIRK HEMPEL

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