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Chaos in „lebendiger Demokratie“

■ SPD-Landesparteitag Thüringen / Große Koalition in Sicht

Gera (taz) – „Wir sind halt hier im Osten eine noch ganz junge Partei“, sagte ein Mitarbeiter beim Landesvorstand der SPD in Thüringen auf dem Landesparteitag der Sozialdemokraten in Gera am Sonnabend. Das klang wie eine Entschuldigung – und es war eine Entschuldigung für das Hauen und Stechen um die Besetzung der vorderen Plätze auf den Listen zu den anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen. Ganze Kreisverbände – etwa Unstrut/Hainich oder Bad Langensalza – wollten ihre KandidatInnen auf der vom Landesvorstand vorstrukturierten Liste nach vorne katapultieren. Andere saßen komplett im „Schmollwinkel“ (Fraktionschef Gerd Schuchard) des Kongreß- und Kulturzentrums von Gera, weil aus ihren Reihen überhaupt kein Kandidat auf einem aussichtsreichen Listenplatz stand. So hatte der Landesvorstand bei der Aufstellung der Landesliste den „Holzlandkreis“ offenbar „vollständig vergessen“, dafür aber gleich mehrere Kandidaten aus Erfurt ganz vorne plaziert. Kleine Palastrevolution bei der SPD in Thüringen, und die Basis setzte sich in fast allen Punkten durch.

„Lebendige Demokratie“ nannte das anschließend Gerd Schuchardt, der fest entschlossen ist, im Oktober bei den Landtagswahlen Bernhard Vogel (CDU) vom Ministerpräsidentensockel zu stoßen. Daß die SPD auch in Thüringen „bei allen Umfragen“ die Nase vorne habe, sei für die Sozialdemokraten eine „große Ermutigung“. Denoch müsse die SPD bis zum Oktober „um jede Stimme kämpfen“. Schuchardt (51) ist keine charismatische Lichtgestalt, und mit seinem angeblich autoritären Führungsstil hat er sich in der Landtagsfraktion in Erfurt nicht nur Freunde gemacht. Doch der Naturwissenschaftler, dessen Berufung an die Universität Dresden Mitte der 80er Jahre von SED-ZK- Mitglied Biermann persönlich verhindert wurde, hat Stehvermögen – und er ist ein getreuer Gefolgsmann von Rudolf Scharping.

Viele in Thüringen glauben zu wissen, daß Schuchardt – falls die SPD stärkste Fraktion im Landtag werden sollte – Teile der amtierenden Regierung Vogel wieder an den Kabinettstisch holen werde. Große Koalition sei in Thüringen angesagt, denn mit Bündnis 90/Die Grünen habe der Chef „nichts am Hut“. Auch die in Gera verabschiedete Programmatik – etwa der Bau einer vierspurigen „autobahnähnlichen“ Nord-Süd-Tangente in Thüringen – läßt ein rot- grünes Bündnis als eher unwahrscheinlich erscheinen. Klaus-Peter Klingelschmitt

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