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Chaos-Manager

Hamburg (dpa) — Die Gesellschaft für Innovative Marktforschung (GIM) aus Heidelberg gehört zu den Pionieren der Markt- und Trendforschung. Mit ungewöhnlichen Methoden untersuchen die Marktforscher — Im Auftrag von Industrie und Handel — die Bedürfnisse, die die Verbraucher bewegen. Tagelang begleiten sie Testpersonen mit der Kamera, lassen sie eigene Drehbücher aus ihrem Leben schreiben und bitten sie am Ende sogar auf die Couch.

„Wir schaffen eine Atmosphäre, in der sich der Konsument entspannen und frei assoziieren kann“, erläutert der Psychologe Harry Riether die Methode. Für eine Vergütung von 25 Mark die Stunde soll sich der verbrauchende Mensch auf der Couch in bestimmte Produkte verwandeln. Mütter versetzen sich in eine Windel, um deren Saugfähigkeit zu beschreiben, Hausfrauen schildern, wie sich das neue Waschmittel unter dem Druck der eingeführten Konkurrenz fühlt oder was Begriffe wie „ultra“ bei ihnen auslösen.

„Früher war es einfach: Alter, Geschlecht, Formalbildung — fertig war die Zielgruppe“, sagt Rolf Nowak vom Heidelberger Sinus-Institut, ein Trendforscher der ersten Stunde. Als Antwort auf die groben Typologien entwickelten er und sein Team die Theorie von den sozialen Milieus. Sie teilt die Gemeinschaft in acht „Subkulturen“ auf, vom großbürgerlichen Milieu bis hin zum alternativ-linken Milieu.

Daß jemand aus dem Aufsteiger- Milieu eher eine prestigeträchtige Limousine als untere Mittelklasse fährt, leuchtet jedem ein. Heute kommt es aber immer öfter vor, daß ein Besserverdienender mittags beim Discount-Supermarkt einkauft, abends im Schnellrestaurant einen Hamburger verzehrt und kurz darauf in die Oper geht. Das paßt in keine Kategorie mehr und hat die Marktstrategen irritiert. Sie sprechen vom „hybriden Konsumenten“, was nichts weiter besagt, als daß er schwer berechenbar ist.

Trendforschung — fundierter Blick auf Kommendes oder Feld für wilde Spekulationen? Harry Riether von der GIM: „Wir schaffen keine Trends aus dem hohlen Bauch heraus. Was wir machen, ist eine sensible Beobachtung von Entwicklungen.“ Und trotzdem — einen Schwur auf seine Prognosen möchte keiner der Trendpropheten leisten. Sicher auch nicht Gerd Gerken, Herausgeber des 'Radars für Trends‘. Sein Trendtenor für die 90er Jahre lautet: „Wir müssen in Zukunft lernen, das Chaos zu managen, denn nichts bleibt, wie es ist.“ Und damit hat er wahrscheinlich recht.

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