piwik no script img

Archiv-Artikel

Change-alujah!

Barfüßige Salsa-Senioren, mitreißende linksradikale Prediger, in Kabelsalaten verhedderte Jungs und expressive House-Tänzer: Das New York Festival im Haus der Kulturen der Welt lässt sich gut an

Kein Traditionalist darf mehr sagen, dass N. Y. nicht genügend „andere Welt“ ist

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Auch wenn das hier, in einem Bericht über erste Eindrücke vom New York-Festivalprogramm im frisch wiedereröffneten Haus der Kulturen der Welt (HKW), eigentlich nichts zu suchen hat: Das Festival „9to5 – Wir nennen es Arbeit“ im Radialsystem war schaurig. Die selbstverklärte digitale Boheme hockte stumpf herum und gefiel sich in Prekariatsposen: Nachts um drei bei einer semiöffentlichen Veranstaltung (umsonst war’s ja nicht) wie blöd irgendwas in den Laptop hacken, Bier trinken, Witz-Workshops abhalten zum total wichtigen Thema „Wie ich die Dinge geregelt kriege – ohne einen Funken Selbstdisziplin“ und Sloganeering-Bands wie dem omnipräsenten Jeans Team ergeben lauschen. Alles in allem so visionär und solidarisierend wie das jährliche Zunfttreffen der Lebkuchenbäcker in Nürnberg.

Da war das, was es im HKW am Freitag und Samstag zu beschauen gab, in jeder Hinsicht beglückender: in Sachen musikalische Güte, in Sachen schlaue politische Agitation, in Sachen performative Durchdachtheit. Die Konzertreihe „El Barrio“, die New York als Welthauptstadt der spanischsprachigen Popmusik profilieren will, hatte am Freitag mit dem Konzert des Spanish Harlem Orchestra ihren Kick-off. Im ausverkauften Auditorium saßen Senioren, die wohl in den 70ern verruchte Tanzschritte zu „Pata Pata“ hingelegt hatten, neben den üblichen Salsakurs-Pärchen (unscheinbare Männchen im blauen Hemd neben sexy gekleideten Versicherungsfachangestellten) und einer großen Zahl spanischsprachiger Community-Mitglieder.

Sitzen aber war in Kombination mit der Musik des Orchestras eine anstrengende Betätigung. Der Pianist Oscar Hernández hat die Formation aus Veteranen und Nachwuchskräften im Jahr 2000 zusammengestellt, um die originäre „Salsa Dura“, wie sie im New York der 60er-Jahre in den Einwanderervierteln entstand, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit gehobener Professionalität arbeiteten die dreifachen Grammygewinner denn auch an diesem Auftrag: Die Bläser-Fraktion stand wie eine Eins im warmgelb wandernden Bühnenlicht, die Percussion-Gruppe um Trommelstar Luisito Quintero meisterte breit lächelnd die komplexesten Beats – und die drei Vokalsolisten gaben die perfekten Entertainer. Sie vollführten trotz teils erheblicher Leibesfülle synchrone Tanzschritte, verstrahlten die Lebensfreude einer ganzen Packung Honigkuchenpferde und animierten zum Mitklatschen – mussten allerdings bald einsehen, dass das Berliner Publikum bei Synkopen und Off-Beats schnell ins Trudeln gerät und nur dem simplen Vier-Viertel-Rhythmus gewachsen ist.

Und auch wenn Hernández drei-, viermal zu oft die neue CD anpries und man den Verdacht eines eiskalten Exotik-Exportkalküls in sich emporsteigen fühlte: Die musikalische Binnendifferenz der Latin-Rhythmen so mitreißend vorgeführt zu bekommen – die Rumba, den ChaCha, den Bolero, die Merengue – war berauschend. Man fand sich zwischen den Stuhlreihen barfuß auf dem neu verlegten Teppich tanzend wieder. Und nach dem Konzert, als man mit einer Caipirinha auf die Terrasse hinaustrat, stand der Mond exakt in der rosa-blau illuminierten Dachkrümmung der Auster.

Am Samstag dann bekam die offensive Gutlaunigkeit einen angemessenen Counterpart. Im Haus – dem man außer dem neuen Buchladen, neuer Wandfarbe und den neuen Klos eigentlich keinerlei Renovierungsresultate ansieht – bewegten sich trotz erwarteten Lange-Nacht-Andrangs immer angenehm überschaubare Menschengrüppchen. Auch beim Gottesdienst von Reverend Billy hätte es noch Platz für einige Schäfchen mehr gegeben. Der Reverend kam im weißen Anzug und mit seinem Chor der „Church of Stop Shopping“. Die Gospelsänger sangen „Hallelujah, we will never gonna shop again“ und kommentierten des Reverends Ansprachen wahlweise mit „Amen!“, „Change-alujah!“ oder „Peace-alujah!“. Was zunächst noch wie ein etwas platter, allzu showtauglich berechneter Übertrag der Figur eines Erweckungspredigers auf die Figur eines Antikonsumkultur-Aktivisten daherkam – „Push back the shopocalypse!“ –, nahm in der Hauptpredigt eine erstaunliche Wendung.

Bestens informiert – sogar die Inhaftierung des Soziologen Andrej Holms wegen Gebrauchs des Wortes „Gentrifizierung“ war ihm bekannt – wurde Reverend Billy richtig ernst: Er redete faktengestützt gegen Walmart und Starbucks, er bezog sich ohne nostalgischen Revolutionsdünkel auf Martin Luther King, er argumentierte gegen die Kulturindustrie, die eine neue Stufe der Kapitalisierung erzeugt habe: selbst die Träume der Menschen in Waren zu verwandeln. Am Ende schrie nicht nur der Chor „Change-alujah“: Man war von neuem fest entschlossen, sich nicht für blöd verkaufen zu lassen und mit frischer Kraft an der Realisierung radikaler Träume zu werkeln.

Dazu muss man die Träume natürlich erst mal haben. Dass das zwei Jungs im Zustand akuter Langeweile erstens schwer fällt und zweitens nur mit Gitarre und Verstärker enden kann, darum in etwa ging es der Performance „Boredom!!! (as an amplifier)“ von Chase Granoff und Jon Moniaci. Wunderbar, wie sie sich da unglaublich lang und wierig auf dem Boden zwischen ihren Kabelsalaten hindurchwanden, so lang, bis zwei Drittel der Zuschauer genervt den Saal verlassen hatten. Die beiden Performer verkörperten stoisch weiter einen brutalen Jugend-Ennui, der sich nach unendlichen Kriechübungen und Zitterpartien endlich in einem Noise-Exzess entlud: Da knallte die Gitarre auf den Boden und feedbackte höllisch, da wurde das Mikro quer durch den Raum geschleift und das Mischpult in fast tödlicher Umarmung zerquetscht. Ja, auch eine männliche Sozialisation kann ganz schön scheiße sein.

Erkenntnis am Ende des Abends: New Yorker scheinen grundsätzlich über ein größeres Bewegungsspektrum zu verfügen. Als Hans Nieswandt und Eric D. Clark herrlichen N.Y.-House auflegten, bewegten sich die Amerikanischsprachigen dazu sehr viel expressiver aus als im gemeinen Berliner Minimal-Club so üblich. Jetzt darf wirklich kein HKW-Traditionalist mit Sehnsucht nach authentischen Stammeskulturen mehr sagen, dass ein Programm zu New York nicht genügend „andere Welt“ nach Berlin holt.