Champions League im Handball: HSV in fremden Galaxien
In einer furiosen Partie gewinnt der HSV Hamburg gegen Barcelona den Champions-League-Titel. Das Stigma als Retortenklub dürfte der HSV nun los sein.
KÖLN taz | Es war als Jux gemeint. Vor dem Turnier hatte Matthias Rudolph lächelnd wissen lassen, er werde zurücktreten, wenn der HSV Handball die Champions League gewinnen sollte. „Dann habe ich mehr erreicht als mein Bruder“, sagte Rudolph, der das Präsidentenamt des HSV 2012 von seinem Bruder Andreas übernommen hatte.
Mit dem Witz wollte Rudolph erzählen, dass dieser Triumph einige Galaxien entfernt war für den HSV – zumal nach dieser verkorksten Saison in der Bundesliga, die sie wahrscheinlich als Fünfter abschließen werden.
Und doch streckte das Team um Kapitän Pascal Hens, das am Vortag den Topfavoriten THW Kiel geschockt hatte (39:33, nach zuvor sieben Niederlagen in Serie!), am Sonntagabend in der Kölner Lanxess-Arena den schweren Goldpokal in die Höhe.
„Das war ein phänomenales Wochenende“, jubelte HSV-Torwart Johannes Bitter nach dem 30:29-Sieg nach Verlängerung im Endspiel gegen Barcelona, das als eines der hochklassigsten Finals in die Handballgeschichte eingehen dürfte. Das dramatisch war, spektakulär, mit Wendungen, die kein Drehbuchautor hätte besser ausmalen können.
Das Spiel des Michael Kraus
Da war erstens die Personalie Michael Kraus. Der 29-Jährige, den der damalige Präsident Andreas Rudolph 2010 persönlich verpflichtet hatte, galt als riesiges Missverständnis. Immer wieder wurde seine Einstellung zum Leistungshandball heftig kritisiert. Am Samstag schaute er auf der Bank zu. „Aber ich habe nach dem Halbfinale sofort zu diesen Spielern gesagt: Morgen ist euer Tag“, erzählte Trainer Martin Schwalb nach dem Triumph. „Auch Toto Jansen, Pascal Hens und Jogi Bitter sind Samstag noch zu mir gekommen und haben mir versichert: Das wird dein Spiel morgen“, erzählte Kraus.
Und es wurde sein Spiel, wie schon an gleicher Stätte bei der WM 2007. Als Kraus in der zweiten Halbzeit aufs Spielfeld kam, begann er mit einem Fehlpass. Aber danach zerlegte er die vielleicht beste Abwehr der Welt in Einzelteile, mit Anspielen auf den Kreis und vor allem mit seinen unorthodoxen Aktionen, die für Freund und Feind unberechenbar sind. Sechs Tore erzielte der Matchwinner in seinem letzten großen Spiel für den HSV: Im Sommer wechselt er nach Göppingen.
Eine Art Wiederauferstehung war es auch für Torsten Jansen. Er, der hochgeschätzte Sportsmann und Weltmeister von 2007, war nach seinem Kopfstoß gegen Ivan Nincevic vor zehn Tagen tief gefallen. In Köln wurde der 36-Jährige ausgepfiffen.
„Ich musste viel einstecken, nicht nur auf dem Feld“, sagte Jansen. Und beinahe wäre er zum tragischen Helden mutiert, als er beim Stand von 24:20 (54.) einen Tempogegenstoß nicht unterbrachte und die Vorentscheidung vergab. „Auch das haben wir weggesteckt, unglaublich“, freute sich Trainer Schwalb.
Mehrmals kurz vor dem Rauswurf
Auch der Trainer machte keinen Hehl aus seiner Genugtuung über den Triumph. Schwalb hatte oft kurz vor dem Rauswurf gestanden. Als der HSV das Final-Four-Turnier 2011 abschenkte, indem das Team vorher die Deutsche Meisterschaft auf Mallorca ausgiebig feierte, wurde das Schwalb vorgeworfen.
Er stand auf der Kippe, als der HSV sich nur über das Wildcardturnier für diese Champions-League-Spielzeit qualifizierte. Nun ist er der erste deutsche Trainer, der die Champions League gewonnen hat. „Darauf bin ich etwas stolz“, sagte Schwalb nach den zwei Sensationssiegen über die Meister aus Deutschland und Spanien. „Champions-League-Sieger, das bleibt.“
Wertvoll ist dieser Titel als beste Klubmannschaft der Welt nicht wegen der rund 500.000 Euro Siegprämie. Sondern weil der HSV Handball mit seiner spektakulären Spielweise endgültig das Stigma als Retortenklub abstreifen dürfte. 2002 war der Klub von Bad Schwartau in die Hansestadt gezogen, und 2004 war es der Medizintechnik-Unternehmer (und heutige Mehrheitsgesellschafter) Andreas Rudolph, der den HSV vor der Insolvenz rettete. „Andreas, die Champions League werdet ihr nie gewinnen“, wurde Rudolph 2007 von dem damaligen Manager des THW Kiel (des damaligen CL-Siegers), Uwe Schwenker, verhöhnt. Die Handballgeschichte hat den Propheten widerlegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“