■ Cash & Crash: Anleger warteten auf die Ausrede
Berlin (taz) – In New York konnte man in den letzten Tagen prima beobachten, wie Börsenspekulation funktioniert. Am Freitag hatte es an der Wall Street einen solchen Run auf Aktien gegeben, daß der Umsatz fast um die Hälfte höher war als üblich. Am Montag war dann der Crash gefolgt: Um 101,52 Punkte oder 2 Prozent brach der Dow-Jones-Index ein, auf nunmehr 5.075,21 Punkte. Das ist der heftigste Absturz seit vier Jahren.
Im wesentlichen hatten die Spekulanten darauf gewettet, daß am Dienstag die US-Leitzinsen gesenkt würden. Und da gab es nur eins: kaufen, kaufen, denn niedrige Zinsen auf Staatsanleihen lassen automatisch Aktien attraktiver werden. Am Montag hatte der Wind gedreht. Zinssenkungen schienen plötzlich allen ganz unwahrscheinlich, da eine Einigung im Haushaltsstreit zwischen Präsident Clinton und dem Kongreß nicht in Aussicht steht.
Nun konnte es gar nicht schnell genug gehen mit dem Verkaufen. Die Kurse stürzten so rapide, daß schon elf Minuten nach Eröffnung die Börsenaufsicht den Programmhandel einschränkte. Damit soll verhindert werden, daß bei einbrechenden Kursen alle Computerprogramme gleichzeitig „Verkaufen“ blinken, was einen noch viel schlimmeren Crash auslösen würde.
Doch der Zwist ums Staatsbudget ist allenfalls der Auslöser des aktuellen Crashs. Dahinter steht die Tatsache, daß die US- Aktienkurse solche Höhen erreicht haben, daß viele Anleger gelegentlich von Schwindelgefühlen gepackt werden. Beim kleinsten Beben springen die nervöseren Investoren ab. Da ist ihnen jede Ausrede recht. Das zeigt sich auch daran, daß Apple und der mittelgroße Chiphersteller Advanced Micro Devices (AMD) bloß ein bißchen über Gewinneinbußen im vierten Quartal raunten, und schon stürzte der Index der elektronischen Freiverkehrsbörse Nasdaq, in der vor allem Technologieaktien gehandelt werden, um 2,8 Prozent ab.
Viele Investmentbanker geben sich jedoch gelassen. Zwar werden die meisten Marktteilnehmer erst mal ein Weilchen auf gute Nachrichten warten, bevor sie wieder in Aktien investieren. Aber früher oder später werden sie reumütig aufs Börsenparkett zurückkehren. Wohin sollen sie auch sonst mit ihrem Geld? 1996 verspricht zumindest in den USA ein Jahr niedriger Inflation und zugleich guter Unternehmensgewinne sowie -dividenden zu werden. Nicola Liebert
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