Carola Rackete über Antarktisvertrag: „Kolonialistische Herangehensweise“
Kapitänin und Klimaaktivistin Carola Rackete kennt das Südpolarmeer gut. Klimagerechtigkeit spiele in der Antarktispolitik keine Rolle, meint sie.
taz: Frau Rackete, der Antarktisvertrag wird 60 Jahre alt – Happy Birthday?
Carola Rackete: Ein Anlass zum Gratulieren ist das kaum. Es ist sehr problematisch, wie das Management der Vertragspartner*innen derzeit umgesetzt wird.
Woran scheitert es?
Die 29 Staaten, die regeln, was dort ökologisch passiert, sind hauptsächlich Staaten des globalen Nordens, das heißt, sie sind die Hauptemittenten von Treibhausgasen auf der Welt. Das Gremium ist ein elitärer Club, weil nur die Staaten dabei sind, die Geld in die Forschung dort investieren können. Die südlichen Pazifikstaaten hingegen, die stark vom Klimawandel betroffen sind, sind nicht dabei.
Wie wirkt sich das aus?
Das Ökosystem wird auf den Kopf gestellt. In kolonialistischer Herangehensweise beanspruchen die Vertragsstaaten das alleinige Management und kommen nicht auf die Idee, dass wir eine Verantwortung gegenüber dem Kontinent tragen.
Obwohl der Antarktisvertrag die Diskussion um Landansprüche eingefroren hat, behauptet Australien etwa, dass ihm 42 Prozent der Antarktis gehören. In dem sich zuspitzenden Konflikt um einen Flughafen, den Australien dort bauen will, wird das jetzt interessant.
Worum geht es dabei?
34, ist Aktivistin und Naturschutzökologin. Sie wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots Sea-Watch 3 mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Derzeit ist sie mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs.
Er soll an der australischen Forschungsstation Davis entstehen und wäre allein schon vom Bau sehr schädlich für das sensible Ökosystem. Die gesamte Biodiversität des Kontinents konzentriert sich dort, wo es eisfrei ist. Da ist auch die Forschung und der Tourismus.
Die Antarktis ist zwar groß, aber es gibt eine starke Konkurrenz um den eisfreien Raum. Der Flughafen würde den menschlichen Fußabdruck auf dem Kontinent um 40 Prozent erhöhen. Aktuell ist er noch in der Umweltverträglichkeitsprüfung, in einem Jahr etwa wird darüber entschieden.
Wer soll da hin fliegen?
Wissenschaftler*innen jedenfalls nicht, die meisten sprechen sich dagegen aus. Die einzigen, die dafür sind, sind die australische Regierung und Policy Institute wie etwa der von ihr gegründete und mitfinanzierte Thinktank Aspi.
Auch die australische Umweltministerin spricht sich für das Projekt aus, aber sie wurde auch kürzlich von einem Gericht zu mehr Klimaschutz verpflichtet, nachdem Jugendliche sie verklagt hatten. Umwelt- und Klimaschutz kann man von ihr nicht wirklich erwarten, es geht vielmehr um strategische Gründe.
Welche sind das?
Im Jahr 2048 kann das Umweltschutzprotokoll für die Antarktis erstmalig wieder verändert werden, dann könnte man theoretisch Bodenschätze abbauen. Der Flughafen soll kurz vorher fertig werden.
Natürlich steht nirgendwo, dass geostrategische Gründe eine Rolle spielen, aber es ist jedem dort eigentlich klar. Auch viele Forschungsstationen werden weniger aus wissenschaftlichen Gründen betrieben, sondern mit dem Gedanken, Präsenz zu sichern, für den Fall, dass der Vertrag irgendwann endet und man dann Fischerei- und Territorialrechte hat.
Sie waren mehrfach in der Antarktis. Wie hat es sich dort verändert?
Den Rückgang der Gletscher sieht man eher durch Fotoabgleiche, aber was man im Zeitraum der letzten zehn Jahre wirklich sieht, ist die massive Zunahme des Tourismus. Die Branche dort reguliert sich praktisch ausschließlich selbst.
Wie bitte?
Die Tourismusunternehmen geben sich eigene Regeln, etwa welchen Abstand man zu Pinguinen halten muss oder wie man vermeidet, brütende Vögel aufzuscheuchen. Aber sie haben kein Interesse, die Touristenzahl zu reduzieren. Eine Kreuzfahrt in die Antarktis kostet locker 10.000 Euro und verursacht inklusive Flug zum Startpunkt fünfeinhalb Tonnen CO2 pro Person.
Das ist so viel wie acht Bangladeschis pro Jahr verbrauchen. Die spüren aber schon jetzt die Folgen des Luxusurlaubs durch den Anstieg des Meeresspiegels und können sich gleichzeitig nicht gegen den Tourismus einsetzen, weil sie nicht Teil des Antarktisvertrags sind. Da zeigt sich, dass Klimagerechtigkeit keine Rolle spielt.
Warum wird der Tourismus nicht stärker reglementiert?
Laut dem Vertrag können die 29 Staaten nur im Konsens entscheiden. Das macht es unmöglich, etwas zu regulieren. Oft sagen die Staaten nicht öffentlich „Wir sind dagegen“, sondern behaupten etwa, es würden noch Informationen fehlen, um mehr Meeresschutzgebiete zu designieren. So ist es seit Dekaden auch bei der Fischerei oder Bioprospektion, also der Untersuchung von Biodiversität für kommerziell wertvolle genetische und biochemische Ressourcen.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Blockade?
Im vergangenen Jahr hat ein russisches Schiff illegal gefischt, das war allen klar. Aber damit das Schiff sanktioniert werden könnte, müsste Russland zustimmen. Da sagt Russland „Nö“. Alle anderen sagen „doch“, aber es führt zu nichts. Das ist Schwachsinn.
Dann scheint das Gremium völlig nutzlos. Sollte man es auflösen?
Ja, es ist ziemlich nutzlos, aber es ist auch schwierig, sich eine gute Lösung vorzustellen. Der schlimmste Fall wäre, wenn das jetzige Gremium wegbricht, aber nicht durch ein neues System ersetzt wird, sodass ein völlig rechtsfreier Raum entsteht. Dann könnte jeder dort Ressourcen ausbeuten, wie er will.
Gibt es keine Ansätze, wie es besser laufen könnte?
Doch, es gibt die Forderung, das Gremium in die UN zu verlagern, sodass fast alle Staaten der Welt mitentscheiden können und die Mehrheit entscheidet. Man könnte auch im bestehenden System das Konsensprinzip aufheben. Oder dass etwa wie im Fall des russischen Schiffes der betroffene Staat nicht mit abstimmen darf. So kleine Veränderungen würden auch schon helfen.
Ist die Antarktis ein blinder Fleck der Klimabewegung?
Ich denke schon. Zum einen ist es für viele sehr weit weg, zum anderen ist der elitäre Club der Vertragspartner*innen unzugänglich. Es ist auf jeden Fall ein Ort, wo Klimagerechtigkeit viel stärker eingefordert und Greenwashing bloßgestellt werden muss.
Was sollte das Antarktisgremium sofort tun?
Es müsste öffentlich zugeben, dass die beteiligten Staaten das Fortbestehen des Ökosystems nicht garantieren können, weil sie die Pariser Klimaziele verfehlen. Als Konsequenz müssten sie sofort drastisch ihre Emissionen reduzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern