COP27: Kapitalismus muss die Welt retten

Mit seinem endlosen Hunger nach mehr Wachstum und mehr Ausbeutung hat der Kapitalismus die Klimakatastrophe verschuldet. Jetzt ist Zahltag.

Eine ausgetrocknete und rissige Landschaft.

„Klimahölle“, ausgetrockneter Staudamm in Südafrika Foto: Mike Hutchings/reuters

Die Welt, so hat es UN-Generalsekretär Antonio Guterres diese Woche beim Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm al-Scheich formuliert, fahre auf einer Autobahn, die direkt in die „Klimahölle“ führe. Leider hat Guterres, von Beruf Diplomat, weggelächelt, wer diesen „highway to hell“ planiert hat: Es sind die einst früh industrialisierten, inzwischen in der digitalen Moderne angekommenen Staaten des Westens.

Man muss keine Marxistin sein, um den nimmersatten Bedarf des Kapitalismus nach mehr als das zentrale Problem zu benennen: mehr Ressourcen, mehr Wachstum, mehr Ausbeutung von Menschen und der Natur. Nun rebelliert nicht die Arbeiterklasse, wie einst von Marx prognostiziert, sondern es ist die Natur, und die Folgen sind katastrophal: sengende Hitze und Trockenheit, schmelzende Eisberge, Fluten, ausgelöschte Arten.

Die Globalisierung der vergangenen 30 Jahre, also die modernste und derzeit gültige Spielform des Kapitalismus, hat die Welt einmal mehr in Sieger und Verlierer geteilt. Und so, wie die Arbeiterinnen in den indonesischen Sweatshops heutzutage mit der Finanzelite in London verknüpft sind, sind es auch die Auswirkungen des Klimawandels: zuerst wird Jakarta versinken, nicht London. Den Preis zahlen nicht als erste diejenigen, die den Schlamassel angerichtet haben.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer haben also guten Grund und Legitimation, die Rechnung auf der Weltklimakonferenz an die Verursacher, die vornehmlich im Westen zu suchen sind, weiterzureichen. Der Westen wiederum, das zeigt sich in Ägypten erneut, verweigert noch immer die Annahme dieses Schuldscheins. Mit den 100 Milliarden Dollar an Hilfen, die die reichen Staaten jährlich zugesagt haben, ist der globale Umbau kaum zu bewerkstelligen.

Mickrige 170 Millionen Euro

Selbst wenn sie gezahlt würden. Ein wuchtiger Deal, mit dem die Staaten des Globalen Südens für die Klimaschäden entschädigt würden, ist vielen Industrieländern schlicht zu heikel, er wäre ja ein Schuldeingeständnis für ein paar Jahrhunderte der Ausbeutung. In Ägypten wird jetzt endlich darüber gesprochen, doch Beschlüsse sind nicht vorgesehen.

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Klimakonferenz für einen globalen Schutzschirm wirbt und aus Deutschland weitere 170 Mil­lio­nen Euro verspricht, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, so jämmerlich mickrig klingt diese Summe angesichts der Größe der Probleme, und der 30 Milliarden Euro, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zur Verfügung stehen. Die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffenen Staaten fordern ihrerseits einen Schuldenerlass.

Moralisch mag das nachvollziehbar sein. Ein Schuldenerlass würde die weltweite Inflation jedoch nur noch anheizen, und ohne in den dann weitgehend entschuldeten Staaten eine dauerhaft klimafreundliche Entwicklung garantieren zu können. Grundsätzlich bleiben deshalb nur zwei Wege: Eine radikale Schrumpfkur, degrowth genannt, bei der sich die Welt gesundschrumpft, wie sie beispielsweise meine taz-Kollegin Ulrike Herrmann in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ fordert.

Flotter Sprung in die postfossile Ära

Das wäre eine ziemlich revolutionäre Lösung für ein Wirtschaftssystem, dessen Kern und Wesen Wachstum und Ausbeutung sind. Aber degrowth ist gerade das Gegenteil dessen, was die Entwicklungs- und Schwellenländern für sich einfordern. Oder: Die Welt wagt schnell, besser noch turboschnell, den Sprung ins postfossile Zeitalter, in dem auch Ruanda und Indonesien, Chile und Kambodscha nur noch mit erneuerbaren Energien operieren.

Doch das muss bezahlt werden. Und das kann nur der Westen selbst. Wenn einzelne Staaten wie die USA nicht bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu stellen, wie es sich jetzt beim Klimagipfel erneut abzeichnet, dann müssen die großen transnationalen Institutionen des Kapitalismus ran, allen voran die Weltbank.

Sie müssen zum Aufbau erneuerbarer Energien und klimafreundlicher Infrastrukturen für die Staaten des Südens und des Ostens Programme auflegen, die, sorry, Kanzler, nicht nur die Scholz’schen Millionen oder Milliarden umfassen, sondern mit Billionen an Dollar daherkommen und die nur eine Auflage haben dürfen: Verzicht auf fossile Energie. Sonst kommt irgendwer im Senegal doch wieder auf die Idee, bislang unerschlossene Gasfelder anbohren zu wollen.

Klingt utopisch? Mag sein. Eine urkapitalistische Form der Weltenrettung? Ja, doch mit Aussicht auf Erfolg. So, wie ein Unternehmen sich mit wuchtigen Investitionen transformiert, wenn das alte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, würde sich die Welt neu erfinden. Nicht weil die Schlafwandler in den Regierungssitzen dieser Welt erkannt hätten, auf welchem Irrweg sie bislang wandelten. Sondern, weil der Umbau ganz einfach attraktiver ist als das Weiter-so.

Man muss weder Marxistin noch Volkswirtin sein, um durchrechnen zu können: Wer diesen Umbau nicht jetzt finanziert, würde später viel mehr bezahlen müssen. Der Preis wäre eine in Teilen unbewohnbare Welt.

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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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