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C+M+B

■ Die drei Reisenden der Weihnachtsgeschichte

Die drei Reisenden der

Weihnachtsgeschichte

VONHERMANNSCHLÖSSER

Ein Glöckchen klingelte, die Tür ging auf, und die ganze Familie strömte ins geschmückte Weihnachtszimmer. Dann ging die Tür wieder zu, der Christbaum strahlte, Geschenke wurden ausgetauscht. Weihnachten war schon immer das Fest der Häuslichkeit. Und irgendwo unter dem Baum waren die Figuren der Weihnachtsgeschichte um eine Krippe gruppiert. Singend zählte die Familie sie auf: „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh / Maria und Joseph betrachten es froh / Die redlichen Hirten knien betend davor / Hoch oben schwebt jubelnd der Engeleinchor.“

Ihr Kinderlein kommet — das biederste aller Weihnachtslieder, das Christoph von Schmid im 19. Jahrhundert verfaßte, beschreibt die Personen der biblischen Geschichte so, als wären sie nahe Verwandte. Das frohe Elternpaar, die redlichen Hirten, das zur Niedlichkeit verkleinerte Kindlein: Nichts Fremdes oder gar Ausländisches haftet diesen Gestalten an. An Weihnachten feiert die christlich-abendländische Kultur sich selbst. Sogar der ebenfalls kleingemachte „Engeleinchor“ scheint noch aus Menschen wie dir und mir zu bestehen. Von einer anderen als der familiär-bürgerlichen Welt ist nirgends die Rede.

Christoph von Schmids schlichtes Lied ist nicht das einzige Beispiel dafür, daß die Überlieferung der biblischen Texte vor allem in Formen der Eingemeindung vonstatten ging. Auch auf alten Bildern ist dies leicht zu erkennen. Bei Dürer oder Altdorfer sieht Bethlehem wie Nürnberg oder Dinkelsbühl aus. Und Maria und Joseph werden zum altdeutschen Handwerksmeisterpaar.

Und doch hat das Krippenspiel unterm Christbaum auch seine exotischen Elemente: „Aus dem Morgenland“, wie man mit Luthers Verdeutschung sagt, kommen drei Reisende bis ins deutsche Weihnachtszimmer gezogen. In ihrem Gefolge trotten Kamele, in ihrem Gepäck finden sich fremdartige Geschenke: Gold, Weihrauch und vor allem die „Myrrhe“, die mit Hilfe der Bibel auch als Vokabel in die deutsche Sprache eingewandert ist. Das Grimmsche Wörterbuch beschreibt sie als „gewürzhaftes Harz“ und nennt als ihren Ursprung „Arabien“ — also eben jenes wundersame Morgenland, aus dessen Weiten eine Karawane auch in die zentraleuropäischen Weihnachtsbräuche hineingewandert ist.

„C + M + B“ schreiben in katholischen Gegenden die Kinder noch immer über die Hauseingänge. Sie verkleiden sich dabei als morgenländische Fürsten und ziehen von Haus zu Haus. Sie behaupten, die Abkürzung stehe für Namen der drei weihnachtlichen Exoten: Caspar, Melchior, Balthasar. Daß dies nicht stimme, meint wiederum die Geschichtswissenschaft. Ursprünglich hätten die drei Buchstaben nämlich bedeutet Christus mansionem benedicat, Christus möge dieses Haus segnen.

Nun könnte man an die Tatsache, daß Christen ihre Häuser sozusagen von Arabern segnen lassen, multikulturelle Hoffnung knüpfen. Aber ganz so einfach ist das nicht. Caspar, Melchior und Balthasar haben eine lange Reise durchs abendländische Bewußtsein hinter sich. In ihrem Verlauf wurden sie ebenso eingemeindet wie die redlichen Hirten und der Engeleinchor. Zwar nicht als nahe Verwandte, wohl aber als Exoten, wie man sie von Europa aus wahrnimmt.

Ihr erstes Auftreten ist eigentlich nicht sehr exotisch. In knapp 40 Zeilen berichtet das Matthäusevangelium von „Weisen“, die einen bestimmten Stern gesehen hatten und dadurch erkannten, daß ein neuer König geboren sei. Ihm wollten sie huldigen und traten dafür eine Reise an. Von „Königen“ ist hier noch nicht die Rede, auch wird nirgendwo gesagt, daß sie zu dritt unterwegs gewesen wären. Allerdings werden ihre drei bekannten Geschenke erwähnt.

Und an dieser Stelle setzte dann im Mittelalter ein endloser Prozeß der Auslegungen und Fortschreibungen der Geschichte ein: Wo drei Geschenke waren, mußten auch drei Überbringer sein, zumal die Drei den Auslegern als heilige Zahl geläufig war. Und da das Kind in der Krippe mittlerweile zum Gründer einer Weltreligion geworden war, durften auch diejenigen aufgewertet werden, die als erste einen weiten Weg auf sich nahmen, um ihm zu huldigen. Vom 6. nachchristlichen Jahrhundert an versuchte man, die drei morgenländischen Wallfahrer zu nobilitieren. Es gelang, wie Martin Bocians Lexikon der biblischen Figuren vermerkt, mit Hilfe des 72. Psalms, in dem es heißt: „Die Könige von Tarsis und auf den Inseln sollen Geschenke bringen, die Könige aus Saba und Scheba sollen Gaben senden.“ Mit der Weihnachtsgeschichte hat dieser Satz zwar nichts zu tun, aber für die mittelalterlichen Theologen bezog sich in der Bibel jeder Satz potentiell auf jeden anderen und lud so zu unendlichen Kombinationen ein. Auf diesem kombinatorischen Wege wurden dann auch die „Weisen“ zu „Königen“.

Ganz ohne biblische Rückversicherungen gab man ihnen dann im 9. Jahrhundert ihre Namen, wobei Melchior zeitweise auch unter dem Namen Pudizar bekannt war. Wichtiger als die Namensgebung wurde dann aber eine weitere Zuschreibung, die man im 12. nachchristlichen Jahrhundert vornahm. Die mittlerweile „heilig“ genannten drei Könige wurden als Allegorien der drei damals bekannten Erdteile aufgefaßt: Nicht mehr drei unbekannte arabische Astrologen standen also an der Krippe in Bethlehem, sondern Europa, Asien und Afrika marschierten auf, um dem Heiland zu huldigen. Und zur bildlichen Verdeutlichung dieser weltumspannenden Allegorie wurde einer der drei schwarz gemalt. Es blieb unentschieden, welcher von den dreien der Schwarze war, eine Zeitlang meinte man, Balthasar wäre es, später neigte man mehr zu Caspar. Aber ob Caspar oder Balthasar — auf jeden Fall war der dunkelhäutige König kein lebendiger Einwohner Afrikas, sondern eine Allegorie des Kontinents und somit ein „Mohr“, ausgestattet mit allen Emblemen, die man in Europa dieser Figur beigab: von den wulstigen Lippen über den Turban zu den Schnabelschuhen.

Touristische Schutzheilige

Und so wandern sie bis zum heutigen Tage durch das nach wie vor christlich geprägte europäische Bewußtsein. Caspar, Melchior, Balthasar, ein Schwarzer und zwei Weiße. Sie kommen von weit her, tragen fremdländische Tracht und bringen ausgefallene Gaben. Daß sie auf dem rechten Weg sind, sagt ihnen ihr guter Stern. So ist es kein Wunder, daß sie lange schon die Schutzheiligen der Reisenden sind. Gasthäuser bewahren eine Erinnerung daran, wenn sie sich „Zur Krone“ oder „Zum goldenen Stern“ nennen.

Aber mit Weihnachten hat dies gerade nichts zu tun. Denn so gerne die Europäer und namentlich die Deutschen auch unterwegs sind — am Heiligen Abend bleiben sie doch lieber zu Hause. Weihnachten gehört der Familie und den eigenen vier Wänden, dies Gefühl sitzt tief. Auch Touristen, die nach Gran Canaria reisen, um der alljährlichen Heimeligkeit zu entfliehen, sitzen dort nicht selten unterm Christbaum und singen Ihr Kinderlein kommet. Weihnachten ist eine sentimentale Saison. Auch die drei Könige aus dem Morgenland stören diese Sentimentalität nicht. Sie gehören ja zur Familie, wenn auch als eher entfernte Verwandte. In ihrer tradierten Gestalt sind sie eine durchaus europäische Erfindung. In ihrer exotischen Pracht tragen sie zur gelungenen Weihnacht ebenso bei wie der Zimt auf den Lebkuchen und die Gewürznelke im Glühwein. Auch das Grab, das angeblich ihre Gebeine beherbergt, liegt nicht in Kairo oder Schiras, sondern im Dom zu Köln am Rhein.

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