: CDU besetzt die ersten Posten
Von der Kirche in die Kammer / Modrow und Gysi beim Gottesdienst / de Maiziere neuer Ministerpräsident / Nach langwieriger Wahlprozedur: Auch Parlamentspräsidentin von der CDU ■ Aus Berlin Olaf Kampmann
Mittags um neun im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Auto um Auto hält vor der Gethsemanekirche, ihnen entsteigt die neue DDR-Politprominenz. Ob de Maiziere, Gysi, Ebeling oder Modrow - sie alle begeben sich vor der ersten Sitzung des neugewählten Parlaments in das mittlerweile schon in die DDR-Geschichte eingegangene Gotteshaus. In seiner Predigt spricht Bischoff Gottfried Forck über Versöhnung. „Die Güte steht noch über dem Recht. Ohne Güte wird die Kette der Ungerechtigkeiten nicht zerbrochen.“ Eine aktuelle Mahnung.
Während in der Kirche das Vaterunser gesprochen wird kommt es davor zu einem kleinen Zwischenfall. Ein Fleischerladen soll beliefert werden, vor dem Geschäft jedoch steht ein PKW mit Fahrer - im Parkverbot, wohlgemerkt. Also drückt der Fahrer des Lieferwagen kräftig auf die Hupe, was wiederum einen Volkspolizisten auf den Plan ruft - der Lärm könnte ja die Veranstaltung in der Kirche stören! Es entspinnt sich ein heißer Disput: Darf der Wagen des designierten Ministerpräsidenten im Parkverbot stehen oder nicht? Der Polizist meint: ja - der Fleischfahrer ist dagegen. Noch während der Streit in vollem Gange ist, räumt der Fahrer des CDU-Vorsitzenden freiwillig den Platz. Die Umstehenden nehmen es mit Befriedigung zur Kenntnis - das wäre ja noch schöner, schließlich sind gerade erst jegliche Privilegien abgeschafft worden!
Kurz vor elf treffen die letzten Volkskammerabgeordneten vor dem Palast der Republik ein. Jedes Auto, das vor dem Eingantg hält, bringt die wartende Journalistenmeute in Bewegung. Mit Kameras, Mikrophonen und Diktiergeräten werden die armen Volksvertreter bedrängt, sie sollen Statements abgeben, sich über die Währungsunion äußern, über Helmut Kohl und natürlich über ihre Sicht auf die Situation des Landes. Sie tun's so gut sie es eben können und bahnen sich dann mühsam den Weg ins Hohe Haus. Für die meisten ist das alles noch sehr ungewohnt - sind doch nur ganze dreizehn Abgordnete der alten Volkskammer auch in die neue gewählt worden.
Gegenüber haben derweilen zwei- oder dreihundert Demonstranten Aufstellung genommen. Mit Transparenten und Spruchbändern geben sie ihrer Sorge Ausdruck, daß eine schnelle Wiedervereinigung sie um Haus und Hof bringen könnte - der Mieterbund hatte zu der Ansammlung aufgerufen.
Im Rang des Plenarsaals drängeln sich derweilen die Berichterstatter. Wer Glück hatte, konnte sich eine Platzkarte ergattern, alle anderen werden gebeten mit den Monitoren Pressezentrum vorliebzunehmen. Um elf Uhr dann eröffnet der mit ganzen 63 Jahren zum Alterspräsidenten avancierte Abgeordnete Piche (DSU) die Tagung. Nachdem der Urnengang vom 18. März für rechtens erklärt wurde, macht man sich an die Wahl des Volkskammerpräsidenten. Die Prozedur ist langwierig - Niemand erhält die absolute Mehrheit. Die Stichwahl schließlich gewinnt dann Frau Dr. Bergmann-Pohl. Danach werden verschiedene Beschlüsse gefaßt, die Stellvetreter des Präsidentin gewählt und schließlich wird Lothar de Maiziere zum neuen Ministerpräsidenten berufen. Als die Sitzung mit der Bekanntgabe des Termins der 2. Volkskammertagung beendet wird, hat man den ursprünglichen Zeitplan nicht nur um einiges überzogen.
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