Kulturkampf der Konservativen

In Teilen der CDU gibt es Unmut über die Entscheidungen für Frauenquote und Gleichstellung. Wofür die Partei steht, bleibt auch nach dem Parteitag in Hannover vage

Warb in Hannover für die Frauenquote: Parteichef Friedrich Merz Foto: Political-Moments/imago

Aus Hannover Sabine am Orde undStefan Reinecke

Andreas Rödder ist mit dem Ausgang des CDU-Parteitags unzufrieden. Rödder, im Hauptberuf Professor für Neueste Geschichte in Mainz, gehört zum konservativen Flügel der CDU. Er hat die Kommission geleitet, die die Grundwertecharta seiner Partei erarbeitet hat, eine Art Präambel für das neue Grundwerteprogramm. Rödder wollte verhindern, dass in der Charta die „Gleichheit von Mann und Frau“ als Ziel verankert wird, auch ist er entschiedener Gegner der Frauenquote. Der CDU-Parteitag hat anders votiert – für Quote und Gleichstellung.

„Hinter beiden Sachfragen standen inhaltliche und personelle Richtungsfragen“, sagt Rödder der taz. „Insofern handelt es sich auch um Richtungsentscheidungen zugunsten der linken Mitte und gegen die eigentlichen Anhänger von Merz.“

Ganz anders sieht das Karin Prien. „Dieser Parteitag ist ein echter Meilenstein“, so die Vize-Parteivorsitzende, die auch Bildungsministerin in Schleswig-Holstein ist, im Gespräch mit der taz. „Mit diesen Ergebnissen werden wir jetzt nach vorne schauen.“ Prien gehört zum liberalen Flügel der CDU, sie hat Quote und Gleichstellung unterstützt.

Bei den Entscheidungen der CDU geht es um weit mehr als Sachfragen. Sie legen einen zuletzt unterdrückten, verhüllten Kulturkampf wieder offen: Will man modern sein? Oder konservative Trutzburg? In der Mitte mit den Grünen konkurrieren? Oder rechts davon der AfD Wähler abspenstig machen? Die Partei beschäftigt sich damit, was sie sein will. Das ist ziemlich neu für die CDU.

Fast beschwörend redet Kristina Schröder am Samstagvormittag auf die Delegierten ein. Die Ex-Bundesfamilienministerin ist eine Verbündete von Rödder, es geht um den Begriff „Gleichstellung“, den sie durch „Gleichberechtigung“ ersetzen will. Die Frage sei „fundamental“ für die CDU, eine „Weichenstellung“, sagt sie. „Der Unterschied ist riesig, etwa wie Marktwirtschaft und Planwirtschaft.“

„Mit der Streichung würden wir hinter das Jahr 1986 zurückfallen“, ruft dagegen Serap Güler, die im Bundesvorstand sitzt.

Schon am Vorabend, am Freitag um 19 Uhr, sagt Tagungspräsident Thorsten Frei: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Äh, nein, erst zur Diskussion.“ Freis Versprecher hat etwas Kennzeichnendes. Die anstehende Debatte über die Frauenquote ist, wie am nächsten Tag die über die Gleichstellung, offen. Man weiß nicht, wie der Parteitag entscheidet – für die CDU, in der viel top down geht, eine ungewohnte Lage.

Parteichef Merz will eine Quote light, nach und nach und erst mal auf fünf Jahre begrenzt. Um, so das pragmatische Argument, attraktiver für Wählerinnen zu werden. Doch die Mehrheit für den CDU-Chef ist nicht sicher. Vor allem die Junge Union und die Mittelstandsvereinigung, die früher Merz’ Fanbase waren, halten Quoten und Gleichstellung für linksgrünen Unfug.

Die Debatte ist emotional mit 34 Wortmeldungen, einem Hauch echten Kulturkampf und überraschenden Frontlinien. Die Quote scheint vor allem die CDU-Frauen zu teilen, die Jüngeren sind dagegen. „Keine Frauenquote der Welt stellt sicher, dass meine Kinder mittags aus der Kita abgeholt werden“, ruft die Paderborner Kreisvorsitzende Corinna Gotte. Man wolle, so der Tenor der Dreißigjährigen, bloß keine Quotenfrau sein und brauche mehr digitale Sitzungen undfamilienkompatible Zeiten.

Die älteren Frauen plädieren hingegen fast durchweg dafür. Die Stimmung im Saal wogt hin und her – vor allem jüngere Anti-Quoten-Frauen werden umjubelt. Merz wirbt als letzter Redner vor der Abstimmung für die Quote. Mit Erfolg. 57 Prozent votieren dafür. Es ist ein knapper Sieg. Manche stimmen wohl auch dafür, weil sie ihren Vorsitzenden nicht demontiert wollen, erst recht nicht so kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen. Auch die Gleichstellung bleibt in der Grundwertecharta.

So gelingt ironischerweise unter Friedrich Merz, der lange selbst gegen die Quote war, was in der Merkel-CDU 16 Jahre lang nicht möglich war.

Ist der Konflikt damit jetzt vorbei, der Kulturkampf befriedet? Andreas Rödder ist skeptisch. „Es gibt die ältere Konfliktlinie zwischen den Funktionären, die auf dem Parteitag in der Mehrheit sind, und der Parteibasis“, sagt er. „Eine Mitgliederbefragung über Quote oder die Gleichstellung wäre wahrscheinlich ähnlich ausgegangen wie die Vorsitzendenwahl von Merz“, sagt Rödder. Das soll heißen: Das „Partei-Establishment“, wie Merz es einst nannte, habe erneut gegen den Willen der Parteibasis votiert. Dieser Konflikt, so Rödder, bleibe.

„Wir müssen lernen, damit umzugehen, dass die CDU mal moderater und mal wirtschaftsliberaler oder konservativer aufgestellt ist, das ist das Wesen einer Volkspartei“, sagt dagegen die Parteiliberale Prien. Zufriedene Sieger, zweifelnde Verlierer.

Nur „mit Kinderbüchern und Philosophie“ könne man das Land nicht regieren, ätzt Merz

Merz gibt den frustrierten Konservativen in seiner Rede aber auch Futter. Begeisterter Applaus brandet auf, als der Parteichef gegen gegenderte Sprache bei den Öffentliche-Rechtlichen zu Felde zieht. „Universitäten und öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind keine Volkserziehungsanstalten“, sagt er. Linke Volkserzieher – dieses Bild wird auch bei der AfD gepflegt.

Mit grobem Werkzeug hämmert der CDU-Chef auch auf die Ampel ein. Er stürzt sich auf Wirtschaftsminister Robert Habeck, der gerade Fehler macht. Nur „mit Kinderbüchern und Philosophie“ könne man das Land nicht regieren, ätzt Merz. Damit versucht er wohl, die auseinanderstrebenden Flügel beieinanderzuhalten – und bedient einen bedenklichen Antiintellektualismus.

Die Liberale Prien lobt Merz – weil der „alle Strömungen im Blick hat“. Rödder glaubt, dass Merz nach diesem Parteitag ein schwieriger Spagat bevorsteht. Wenn der Vorsitzende seine Unterstützer von gestern „nicht verlieren will, wird er glaubhaft vermitteln müssen, dass er inhaltlich für die Positionen steht, für die ihn fast zwei Drittel der Partei gewählt haben“. Das werde für Merz aber „im Berliner Raumschiff mit seinem Sog nach Mitte-links“ schwierig.

Vage bleibt indes, was die CDU jenseits des internen Kulturkampfes eigentlich will. Ihr Zukunftsentwurf ist blass. Ohne viel Debatte verabschiedet sie am Freitagnachmittag den Leitantrag zu Energiekrise und Wirtschaftspolitik. Die CDU ist gegen die Gasumlage und will die drei AKWs länger laufen lassen. Sie will einen Gas- und Stromdeckel einführen und ein sechsmonatiges Moratorium für private Gas- und Stromverträge. Lieber sollen arme Menschen 1.000 Euro bekommen als alle 300, außerdem soll die Erhöhung des CO2-Preises 2023 nicht ausgesetzt werden, wie die Ampel es gegen den Widerstand der Grünen beschlossen hat. Will die CDU grüner als die Regierungsgrünen sein? Sozialer als die SPD?

Eher nicht. Damit gibt die CDU einfach der Regierung Contra, um deren Schwächen in den Fokus zu rücken. Die neue Programmatik ist auch nach diesem Parteitag nicht zu erkennen.

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