: CAFÉSATZ VONCHRISTOPHBUSCH
In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier? Christoph Busch hat das Rezept ausprobiert und seine Erfahrungen in einer Serie aufgeschrieben. Die nächste Folge erscheint am Samstag.
Nach dem Mann ist wieder eine Frau dran. In den Cafés, die wie Bistros tun und vorwiegend locker moderne Leute anziehen, fällt mir die Arbeit am leichtesten: Die Gänge zwischen den Tischen sind nur knietief. Die Sitzordnung ist nicht streng. Es wird schon mal ein Stuhl an den Nachbartisch gezogen. Warum nicht auch ich? Vor allem mindert das Lockertun der Menschen und ihrer Bekleidung meine eigene Scham.
Aber diesmal soll die Latte etwas höher liegen. Schließlich braucht ein Mann eine Aufgabe und ein „Iceberg“ Menschen, mit denen ich nicht so oder so ins Gespräch komme. Ich laufe verschiedene Abfüllkneipen in Bahnhofsnähe an, trete aus dem Tageslicht durch Windfangdecken ins verqualmte Dunkel, gehe einmal durch und gleich wieder raus. Diese Art von Besoffenheit gleicht nicht der geschwätzigen an einbeinigen Marmortischchen. Ich möchte das Gelächter nicht hören, wenn ich den hier in sich hineintrinkenden Menschen mit meinem üblichen Einstieg käme: „Ich schreibe an einer Geschichte, und zu der gehört es, Unbekannte in Gaststätten anzusprechen und mit ihnen so persönlich zu reden, als würde ich sie gut kennen.“ In die „Bierschwemme“ habe ich gestern schon mal reingeschaut. Heute bleibe ich dort ein Wasser lang an der Theke und schaue vom erkauften Platz am Glas aus um mich herum. Ich erkenne Verbindungen untereinander und zur Wirtin, kriege selbst Beziehung. Der Anblick schlaffer Trinkerfalten nimmt mir die Angst. Aber zum Fragen reicht es heute noch nicht.
Also die Latte erstmal halbhoch: Ein plüschiges Traditionscafé. Lüster, Leuchter und indirekt beleuchtete Ölbilder fordern gedämpftes Benehmen und Lodenkleidung. Meine Motorradjacke lege ich über den Arm und schreite durch den Saal. Am liebsten setze ich mich gleich und ohne lange nachzudenken zu jemandem, der allein sitzt, an den Tisch. Schwerer ist es, erstmal zu sitzen, die Gäste zu mustern, pro und contra abzuwägen, dann aufzustehen, die sichere Teetasse zurückzulassen und unter den Blicken der übrigen Gäste den Raum zu durchqueren.
Wunderbar: Da sitzt eine Frau ganz alleine, sicher über sechzig, mit grauen stoppelkurzen Haaren, liebes Gesicht. Sie löffelt ein Eis aus einem dicken blindgespülten Glas und „gestattet“. Ich plaziere mich neben ihr am Wohnzimmertisch mit geschweiften Beinen und Brockatdecke und komme sofort zur Sache. Aber sie will nicht mit mir reden, da sie im Moment zuviel Kummer habe. Damit hat sie mich erst richtig neugierig gemacht. Ich mache noch einen Anlauf, aber schon linkisch: So ein Besuch im Café täte dann wahrscheinlich gut. Aber nicht mit jedem, sagt sie. Schiebt ihren Sessel etwas von meinem weg und nimmt ein Lesering-Heft zur Hand.
Meine Enttäuschung überspiele ich mit einem ebenso erworbenen Büchlein: Flauberts Lexikon der Allgemeinplätze. Ich kann mich auch alleine beschäftigen, habe doch Aufdringlichkeit gar nicht nötig. Unter „Hingabe“ steht da zum Beispiel, „man beklage sich darüber, daß sie den anderen abgeht.“ Gelegentlich drehe ich die Mäntel am Garderobenständer neben mir etwas weg, um besser sehen zu können. Man sitzt hier weit zurückgelehnt in Polstersesseln. Die machen die Entscheidung schwerer, als eine Stuhlkante es tät.
Die nächste Solo-Dame hat ebenfalls das Rentenalter erreicht. Ich muß quer durchs Café. Die Frau im dunklen Kleid hat ihren Hut aufbehalten, kommt gerade von ihrem Mann, das heißt, vom Friedhof, hat ihr Eis schon auf und auch keine Lust, mit mir zu reden. Beziehungsweise, ich habe keine, mich durch ihr Unverständnis durchzuarbeiten. Außerdem ist sie schwerhörig. Das gefällt den beiden Damen am Nachbartisch. Sie haben aufgehört zu tratschen.
Die jüngere Frau, die ich gleich darauf, weil ich mich schon mal aufgerafft habe, fünf Tische weiter anspreche, legt ihr Flugticket zur Seite und antwortet bereitwillig: Sie wartet auf ihren Freund, fährt in den nächsten Tagen nach Brasilien, vielleicht für ein Jahr, zu ihrer Schwester, hat sowieso Beziehungsschwierigkeiten und 15 Jahre Theorie und Praxis einer Sozialpädagogin hinter sich. Zuletzt in der Psychiatrie. Heute morgen hat sie ihre Bewerbungsmappe bei der Kunstakademie abgegeben. Eigentlich habe sie das schon vor 15 Jahren gewollt. Aber jetzt, wo ihre Zukunft nicht mehr davon abhängt, hat sie sich erst getraut. Das alles kommt, obwohl doch dramatische Geschichte, so glatt unter der goldgerandeten Brille der jungen Frau hervor wie ein Klappentext. Da habe ich nichts nachzufassen. Meine Gedanken schweifen ab. Ich sehe mich am Tisch sitzen und reden, auf der Sesselkante leicht vorgebeugt, die Beine schräg nach hinten weg, wie in versetzten Startlöchern. Kann mir vorstellen, was die übrigen Gäste fantasieren. Schaue mich aber nicht um, sondern frage, was ihre starke Seite sei. Sie denkt kurz nach: Ehrlichkeit — sich selbst gegenüber — und — das habe sie in der Psychiatrie gelernt — Menschenkenntnis. Bei dieser Behauptung schweifen meine Augen automatisch einen Moment lang ab und planlos um ihr Gesicht herum. Ganz so, wie wenn mir mein Vater früher auf den Kopf zusagte: Du lügst doch.
Jetzt kommt ihr Freund, und ich bin froh, mich aus dem Gespräch schleichen zu können, ohne Langeweile offenbaren zu müssen. Ich kehre zu meinem Stammtisch mit dem feinsinnigen Diogenes-Bändchen und der kurzhaarigen Dame zurück. Die Lady legt 'Frau im Spiegel‘ ab und fragt mich, ob ich „Ersatz“ gefunden hätte. Ich kontere nicht schlecht: Ersatz für sie gäbe es nicht, und schaue zu der jungen Frau und ihrem Freund hinüber. Für die ZuschauerInnen im Café muß es aussehen, als hätte ich nach Eintreffen des Mannes das Baggern aufgegeben und den Schwanz eingekniffen. Und an des Freundes Stelle würde ich das ganze für eine neue Anmachtour halten. Außerdem kommt mir diese Goldbrillenfrau aus der Entfernung auf einmal bekannt vor: Diese psychiatrische Einrichtung, in der sie gearbeitet hat, die liegt doch gar nicht weit weg von meiner Wohnung. Und kenne ich nicht auch jemanden, der dort arbeitet? Und über den kennt die Frau vielleicht mich und weiß alles mögliche von mir und hat ihren Spaß gehabt, während ich sie wie ein Fremder und siezend befragte? Kein guter Tag heute.
Der Anblick zweier älterer Damen im Caféeingang holt mich aus der Verunsicherung. Die im weißen Popelinmantel kenne ich. Habe sie mal als Besitzerin eines Kleinstadtkinos ausführlich interviewt. Ich will nicht schon wieder auffallen und drehe den Kopf in mein Buch. Aber die beiden setzen sich nur einen Tisch weiter, und meine Bekannte steuert mit ihrem Mantel direkt auf den Garderobenständer neben mir zu. Überraschung und muntere Begrüßung: Hallo — Guten Tag — Gerade aus dem Urlaub zurück — Setzen sie sich doch einen Augenblick zu uns. Ich geselle mich zu den Damen, die hier ihren großstädtischen Einkausbummel mit Kaffee und Teilchen beschließen. Jemanden schon zu kennen, das tut zur Abwechslung ganz gut. Und die anderen Gäste dürfen jetzt rätseln: Arbeitet der in der Altenpflege oder als Erbschleicher? Aber was war dann mit der jungen Frau?
7.ALLESUNTERWASSER
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