: Butzbach/Hessen
■ Kritik an der Amnestie-Debatte
„Gefangene wollen raus.“ Das ist so klar wie nur was. Und weil Knast niemanden besser macht, hat das Rauswollen auch eine jederzeit vertretbare Berechtigung. Was also sollte dann gegen die laufende Amnestie-Kampagne einzuwenden sein?
[...] Als erstes ist da dieser beschissene Anlaß, um den sich alles dreht: die großdeutsche Vereinigung ist für unsereins alles andere als ein Jubelanlaß. Auch wenn's die Leute drüben scheinbar erstmal prima finden, wenn man sie nun zukünftig zu reellen Preisen ausplündert und ihnen erzählt, das wäre jetzt die große Freiheit...
Aber den Stacheldraht, den sie an der Grenze abräumen, werden sie um die Knäste doppelt wickeln, denn die werden sie füllen in den kommenden Zeiten der Krise, die das Kapital ihnen beschert. Also für Knackis keine Jubelgründe.
Aber wenn sie denn doch für uns eine Amnestie machen wollen?! Knacki ist es doch scheißegal, ob sie ihn raustun, weil der Staat sich mästet oder weil Beethoven Geburtstag hat oder im Himmel Jahrmarkt ist. Gefangene wollen raus.
Der Haken ist nur: Es will sie ja gar keiner rauslassen! Jedenfalls niemand von denen, die uns alle eingesperrt haben und die sehr viel Wert darauf legen, daß die Gefängnisse voll bleiben. Schon allein, damit das Volk das Fürchten nicht verlernt.
Die Amnestie-Idee kommt aus einer ganz anderen Ecke. Zum Teil von Leuten, die es subjektiv vielleicht sogar gut damit meinen: Pastoren, Anwaltsvereine, Grüne und nette Prominente. Aber die Wirkung in den Knästen ist, daß es uns die Köpfe vernebelt. Daß zuviele von diesem Hirngespinst besoffen gemacht werden, demnächst käme der dicke Vater Gnädig, macht noch mal mahnend: „Du, du, du!“ und schenkt ihnen dann die Jubelfreiheit. Die Wahrheit ist, nichts wird's geben für uns, gar nichts!
Aber wer nur noch Amnestie im Kopf hat, hört auf zu denken. Und vor allem: er hört auf zu kämpfen. Hört auf, sich gegen den Knast zu wehren, ihn so nicht mehr zu ertragen, ihn anders zu wollen, wenn er ihn denn schon nicht wegkriegt. Wer sich von der Illusion benebeln läßt, für ihn selbst hätte sich der Knast demnächst erledigt, der stellt keine Forderungen mehr und der steigt auf keine Barrikaden. Weil ihm der Knast ja angeblich bald egal sein kann. Es kann sein, daß ihn zunächst dieser Gedanke überhaupt erst wach gemacht hatte, aber jetzt blockiert er ihn und läßt ihn nur noch auf einer einzigen Wellenlänge peilen.
Und das ist die Funktion dieser Amnestie-Kampagne, die seit August plötzlich in eine Entwicklung reingebrochen ist, die ganz andere Momente gehabt hat. Seit Jahresanfang hat es immer wieder und überall die Revolten gegeben und es gab klare Forderungen gegen die Knäste und das ganze System der Käfighaltung. Und diese Bewegung war und ist nicht mehr totzukriegen und erst dieses Amnestiegerede droht ihr jetzt die Schärfe und die Orientierung zu nehmen. Deshalb sind wir dagegen, daß weiter Illusionen verbreitet und geschürt werden und daß der alte Zustand uns wieder einholt, wo jeder gegen jeden anstinkt, weil er darauf spekuliert, daß er selber dabei fein rauskommt und dann: „Laß den Knast für die anderen doch bleiben wie er will!“
Genau das wollen wir nicht mehr. Wir wollen die Solidarität, wie sie sich in den Kämpfen der letzten Monate entwickelt hatte, und wir wollen diese Entwicklung weiterführen. Deshalb ist klar: Wir lassen uns von dem Amnestiegerede nicht für dumm verkaufen und wir sagen was dagegen. Aber wir spalten nicht. Und wenn's in den Knästen rappelt, weil die Herrschaften sich gegenseitig ihre Stasi- und Sonstwasagenten amnestieren, aber alle Knackis weiter schmoren lassen, dann wohlan und vor allem: dann weiter!
Weiterkämpfen gegen die Sinnlosigkeit der Käfighaltung, gegen diesen Irrsinn der Einsperrerei, gegen die Ausbeutung in der Knastarbeit für Groschen und Pfennige, gegen die Isolationsbunker und die Trakte, mit denen sie uns drohen, gegen die Postschnüffelei und gegen das langsame Kaputtgehen im Knast. Von all dem Dreck wollen wir uns befreien und uns erkämpfen, was uns zusteht. Und wir wollen das mit allen zusammen, weil es nur so geht. In diesem Sinne keine Phönixe, sondern wilde Vögel aus Butzenheim
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