: Bush und Dukakis im Image-Krieg
Der US-Präsidentschaftswahlkampf verkommt zur polemischen Schlammschlacht/ Bush profiliert sich als der patriotischere Kandidat Die Fernsehdebatte am kommenden Sonntag könnte den gegenwärtig vor allem unsicheren WählerInnen mehr Klarheit bringen ■ Aus Washington Stefan Schaaf
„Das Flaggen-Geschäft geht hervorragend, und Amerika geht es hervorragend“, so die simple Botschaft George Bushs am vergangenen Dienstag bei einem Besuch in der traditionsreichen Flaggenfabrik Annin Co. in New Jersey, die seit 1849 die „Stars and Stripes“ für die präsidentiellen Inaugurationsfeiern geliefert hat. „Die Flaggen, die sie hier produzieren“, sagte der Vizepräsident zu einem eher kritischen Publikum - es sind vor allem Immigrantinnen aus Asien und Osteuropa - „wehen über einem Amerika, das heute stärker und wohlhabender als jemals zuvor in seiner Geschichte ist.“
Das Busineß mit dem blau-weiß-roten Tuch geht in der Tat in den letzten Jahren besser als je zuvor; George Bush geht es bei all dem Flaggen-Fetischismus jedoch mehr um die patriotische Symbolik, die er seit dem republikanischen Parteikonvent in New Orleans als mächtige und erfolgreiche Waffe gegen seinen demokratischen Widerpart Michael Dukakis einzusetzen weiß.
Die Anbetung der Flagge nahm ihren Anfang mit einem Bild von pathetischer Klebrigkeit: George Bush, von den Delegierten gerade zum neuen Bannerträger der Reagan-Partei geschlagen, endete seine Dankesrede mit einer patriotischen Note. Statt, wie sein Gegner Michael Dukakis vier Wochen zuvor, zum Abschluß einen Philosophen des Altertums zu zitieren, wählte Bush den kaum hundert Jahre alten Eidesspruch auf die amerikanische Flagge, den sogenannten „Pledge of Allegiance“, als krönenden Höhepunkt seiner Ansprache. Da stand er, die rechte Hand auf dem Herzen, und rezitierte das Glaubensbekenntnis amerikanischer Patrioten und das Parteivolk war hingerissen.
Die so platt dargebotene vaterländische Anbiederung Bushs war wohlkalkuliert, denn der Fahneneid, so hatten dessen Wahlkampfstrategen vorgesehen, sollte zu einer scharfen Waffe gegen den Demokraten Dukakis geschmiedet werden. Dukakis hatte als Gouverneur per Veto verhindert, daß die Schulkinder in Massachusetts ihr Tagwerk statt mit dem Einmaleins mit dem Fahneneid beginnen müßten. Nahegelegt hatte ihm dieses Veto der Oberste Gerichtshof von Massachusetts, der mit dem schulischen Zwang zum „Pledge“ die freiheitlichen Grundsätze der Staatsverfassung verletzt sah. Das besondere an der gesellschaftlichen Ordnung der Vereinigten Staaten sei, so argumentierten die Richter, daß keine staatliche Institution die Bürger zu Loyalitätsbeweisen wie dem Fahneneid zwingen könne.
George Bushs Wahlkampfstrategen hatten aber anderes als derlei rechtsphilosophische Haarspaltereien im Sinn. Mike Dukakis, so hämmerten sie in den Wochen seit dem Parteitag der Wählerschaft ein, habe als Gouverneur den Fahneneid in Massachusetts verboten; ungesagt wurde damit suggeriert, daß es mit dem Patriotismus des liberalen griechischstämmigen Gouverneurs nicht so weit her sein könne. Zwar gehören Fahneneid, Nationalhymne und die stets präsenten „Stars and Stripes“ zum demagogischen Arsenal auch jeder Demokraten -Veranstaltung, doch Dukakis tat sich mit einer Reaktion auf Bushs pausenlose Attacken reichlich schwer. Der Gegenangriff blieb lange aus, und Dukakis verlor die erste Runde im Image -Krieg der Präsidentschaftskandidaten. Es war, als hätte er die Grundregel amerikanischer Wahlkämpfe vergessen: Wichtig ist, mit den Vorwürfen schneller und schriller als der Gegner zu sein, ob sie der Wahrheit entsprechen, bleibt hinterher den Historikern überlassen.
Ein amerikanischer Wahlkampf in den achtziger Jahren ist ein gnadenloser Krieg der Images und Symbole, ein Kampf um Schlagworte und gute Fernsehbilder. Die beste Waffe ist ein negatives Etikett, das man dem Gegner um den Hals hängen kann. Bush hat sich dieser Waffe bisher sehr viel wirksamer zu bedienen gewußt als Dukakis. Er hat es geschafft, die Reagan-Ära zu einer Zeit des „Friedens und des Wohlstands“ umzudeuten, er brüstet sich mit den 16 Millionen neugeschaffenen Arbeitsplätzen, dem gestiegenen Familieneinkommen und der globalen Wende zu Abrüstung und Frieden von Angola über den Persischen Golf bis nach Südostasien. Dukakis schien sich lange zu fein zu sein, dem Vizepräsidenten mit gleicher Münze heimzuzahlen, und scheute sich vor allem bislang, Reagan als Person zum Ziel von Angriffen zu machen. Erst die immer schlechter werdenden Umfrageergebnisse, die Bush teilweise einen Acht-Punkte -Vorsprung bescheinigten, haben neuerdings zu einem rauheren und offensiveren Wahlkampfstil des Gouverneurs geführt.
Angesichts des immer stärker auf die Bedürfnisse des Fernsehens zugeschnittenen Wahlkampfstils beklagen die politischen Kolumnisten in den Zeitungen, daß beide Kandidaten in diesem Wahlkampf einen weiten Bogen um die wirklich entscheidungsbedürftigen Fragen machen und sich statt dessen die Köpfe über Nichtigkeiten einschlagen. Dies hat nichts daran geändert, daß die Botschaften immer knapper und immer inhaltsleerer werden. Bush und Dukakis streiten sich um die außenpolitische Erfahrung, über die Dukakis nicht verfüge, die bei Bush hingegen, so dessen Gegner, vor allem aus hirnrissigen Abenteuern wie dem Waffen-gegen -Geisel-Deal mit den iranischen Ayatollahs oder Bushs fragwürdigen Verbindungen mit Panamas Diktator Noriega bestehe.
Bushs Abgriffe, die versuchten, Dukakis als politisches Leichtgewicht, als Erzliberalen und als Neuling auf der nationalen Szene darzustellen, liefen schon einige Wochen, als dem Dukakis-Stab zu dämmern begann, daß das Weiße Haus nicht mit dem trockenen Aufzählen der Reaganschen Skandalchronik gewonnen werden könne, sondern daß man im Wettbewerb der von Bush meisterhaft gestellten Fernsehauftritte mithalten müsse. Bush machte aus der Debatte um soziale Fragen, um Arbeitsplätze, Defizite und die ökonomische Zukunft der Mittelklasse eine politische Schlammschlacht, in der Dukakis als verantwortungsloser Pazifist und idealistischer Träumer gezeichnet wurde. Vorzuwerfen wäre den demokratischen Strategen allenfalls, daß sie davon überrascht waren, denn sie hätten erwarten müssen, daß der Reagan-Schüler Bush nach acht Jahren im Weißen Haus gelernt hat, wie man die Wirklichkeit zum eigenen Nutzen verdreht.
Abhilfe soll jetzt der altgediente Dukakis-Freund und Kampagnen-Stratege John Sasso schaffen, der vor einem Jahr gehen mußte, weil er den Vorwahl-Rivalen Joe Biden durch ein an die Presse geliefertes Video-Band als Redendieb des britischen Labour-Politikers Neil Kinnock entlarvt hatte. Nun wird Sassos Expertise dringend benötigt, Kampagnen-Ethik hin und her.
So geht die Präsidentschaftskampagne nun in ihre Endphase, die WählerInnen werden mit dem Streit um die Frage gefüttert, ob die Kandidaten bei ihrer mit großer Spannung erwarteten Fernsehdebatte am Sonntagabend stehen oder sitzen werden - Dukakis will stehen, Bush sitzen -, ob Dukakis verurteilte Mörder habe frei herumlaufen lassen und ob seine Frau Kitty zu Vietnamkriegszeiten einmal eine US-Flagge verbrannt habe.
Die WählerInnen sind denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem verwirrt. Sechs Wochen vor der Wahl sind vierzig Prozent noch unentschieden, wem sie am 8.November die Stimme geben werden. Viele haben das Gefühl, von Bush wie von Dukakis nur eine unglaubwürdige Fassade präsentiert zu bekommen. Sie glauben weder Bushs festem Versprechen noch Dukakis‘ eher vager Zusage, nach der Wahl die Steuern nicht zu erhöhen. Ihre Entscheidung in der Wahlkabine sehen sie gegenwärtig als Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten von denen jede mehr Risiken in sich birgt als Chancen.
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