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Busdiplomatie der verfeindeten Brüder

Eine neue Annäherung zwischen Indien und Pakistan ermöglichen ausgerechnet die letztjährigen Atomversuche. Eine gemeinsame Busfahrt der zwei Premierminister signalisiert das Entgegenkommen  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird ein indischer Premierminister morgen pakistanischen Boden betreten. Atal Behari Vajpayee nutzt die Eröffnung einer Busroute zwischen Delhi und Lahore, um selbst in den ersten Linienbus zu steigen. Die Verkehrsverbindung war im September von beiden Regierungschefs vereinbart worden. Vor einigen Wochen lud dann der pakistanische Premier Nawaz Sharif seinen Amtskollegen ein, die Eröffnungsfahrt zu einem Besuch Pakistans zu benutzen. Vajpayee sagte sofort zu. Das bevorstehende Ereignis hat bereits einen Wirbel gegenseitiger Freundlichkeiten und Hoffnungen ausgelöst. Inzwischen gilt der historische Charakter des Besuchs schon vor dem Antritt der Reise als ausgemacht.

Um den außergewöhnlichen Charakter des Besuchs zu unterstreichen, wird Premierminister Vajpayee nicht Pakistans Hauptstadt Islamabad besuchen, sondern in Lahore bleiben. Er wird – nach dem Empfang durch Sharif am Grenzübergang von Wagah – am Samstag nachmittag in einem offenen Wagen durch Lahore zum alten Fort fahren, wo ihm zu Ehren ein großes Bankett ausgerichtet wird. Am Sonntag folgen dann zwei Gipfelgespräche, bevor der indische Premier wieder den Bus zurück besteigt. Sharif hat angeboten, ihn dabei über die Grenze nach Amritsar zu begleiten.

Die prominenten Passagiere beweisen, daß das triviale Ereignis einer neuen Busroute einen symbolischen Durchbruch bewirken kann. Es ist die erste neue Verkehrsverbindung zwischen beiden Ländern seit der Teilung des Subkontinents vor 52 Jahren. Mit einem Schlag war damals das dichte Kommunikationsnetz zwischen Ost und West zerschnitten worden. Was die Staatsgründer noch als offene Grenze vorgesehen hatten, verhärtete sich dann in drei Kriegen zu einer Kette von Wachtürmen und Stacheldraht.

Die ausgesuchte Herzlichkeit des pakistanischen Protokolls gilt dem Regierungschef eines Staates, mit dem die Armee noch täglich Artilleriescharmützel ausficht. Doch nach den drei Waffengängen und einem zehnjährigen schmutzigen Kleinkrieg in Kaschmir gibt sich niemand der Illusion hin, daß der Besuch die Mauer zwischen beiden Ländern einreißen wird. Beide Seiten sind sich denn auch bewußt, daß das Feuerwerk von freundlichen Worten in Rauch aufgehen wird, wenn ihnen keine politischen Fortschritte folgen. Die Gespräche am Sonntag könnten dank des öffentlichen Drucks für einige der jahrelang diskutierten Abkommen den Durchbruch bringen. Mehrere Verhandlungsrunden auf technischer Ebene haben zahlreiche Hürden gesenkt, sie wurden aber wegen des Kernkonflikts um Kaschmir nicht überschritten.

Auch die Gegner einer Annäherung beobachten jede freundliche Geste argwöhnisch. Indiens Hindu-Scharfmacher rieten Premier Vajpayee, statt im Bus doch mit einem Panzer zu fahren und ein paar Atombomben mitzunehmen. Doch Vajpayee kann mit der Unterstützung des breiten Spektrums politischer Parteien rechnen. Pakistans islamistische Parteien griffen bereits Regierungschef Sharif scharf an und warfen ihm Verrat am Volk von Kaschmir vor. Kaschmirische Untergrundgruppen haben Störungen des Besuchs angekündigt. Doch Sharifs gefährlichste Widersacher kommen aus dem eigenen Establishment hoher Beamter und Offiziere, für die der Kampf um Kaschmir zur Raison d'etre geworden ist.

Daß die neuentfachte Annäherung jetzt größere Chancen hat als frühere Versuche, ist das paradoxe Resultat der letztjährigen Atomversuche. Die chauvinistische Euphorie machte damals bald der bedrückenden Einsicht Platz, daß beide Seiten nun die Möglichkeit haben, sich in einem neuen Krieg zu vernichten. Den auftrumpfenden Gesten folgten daher bald Signale der Bereitschaft, sich auf einen Sicherheitsdialog einzulassen. Beide Länder machen dafür zwar unterschiedliche Angebote – Indien offerierte einen Vertrag über Erstschlagsverzicht, Pakistan einen „No War“-Pakt.

Die Wiederaufnahme des bilateralen Dialogs im letzten Herbst zeigt, daß beide Seiten die grundsätzliche Notwendigkeit von Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung anerkannen. Die gemeinsame Busfahrt der Premierminister signalisiert buchstäblich Entgegenkommen. Sie wurde aber erst möglich, als beide Seiten erkannten, daß sie vor der aufkommenden Atomwolke im Bus Schutz suchen mußten.

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