: Bunte Knaller in der Keksstadt
5.000 AntifaschistInnen sagten in der sächsischen Kleinstadt Wurzen mal so richtig ihre Meinung. Hören wollte sie kaum jemand. Beim umstrittenen Aufmarsch gegen Neonazis hielt sich die Polizei zurück ■ Von Detlef Krell
Wurzen am Morgen davor. „Eine Ruhe hier“, wundert sich der Schaffner des Dresdner Interregios, „ich dachte, hier wäre Demo und der Zug voll von denen.“ Es ist 8 Uhr. Wie verlassen liegt der Bahnhof. An den Fahrplänen prangt ein Hakenkreuz. Zwei Minuten später rollen Fahrzeuge vom Bundesgrenzschutz heran, ein Dutzend. Der Parkplatz ist für sie reserviert.
Die Stadt liegt grau im Nebel. Kaum ein Mensch auf den Straßen. An einer Hauswand steht: „Chaos 16.11.“ Ein paar Häuser weiter: „Verblödung total 16.11.“ Darunter hat jemand eine Karawane roter Kamele gesprüht. Männer mit Brötchenbeuteln grüßen sich: „Na, heute geht's los. Mal sehen, was das wird.“ Am ferkelrosa getünchten Stadthaus steht in riesigen Lettern: „16.11. Wurzen in Schutt und Asche!“
Sonnenwendfeiern und Führers Geburtstag
Wurzen, die Stadt der Neonazis. Seit fünf Jahren steht ihr Name für Überfälle auf Flüchtlingsheime und MigrantInnen, auf Linke und Obdachlose. Wurzen, eine Kleinstadt nordöstlich von Leipzig, das sind die Glatzen. Die Aufzüge zu Sonnenwendfeier und „Führergeburtstag“, die NPD-Flugblätter und Kadertreffs der „Jungen Nationaldemokraten“. Rechte Überfälle gehören hier zum Alltag, in den letzten Wochen hat es fast jeden Tag geknallt. In der Nacht zum 7. November überfielen drei Rechtsextremisten, einer aus Wurzen, im nahen Grimma zwei Türken. Sie stachen mit Messern zu und verletzten einen von ihnen schwer. Ein paar Tage später überfielen Neonazis eine Disko im nahen Frohburg, andere traten mit Hitlergruß vor Wohnungen linker Wurzener auf. Die Stadt an der Mulde ist das „Zentrum im Zentrum“, mittendrin in einem braunen Netz NPD-dominierter Kameradschaften.
Beim sächsischen Verfassungsschutz ist das bekannt. Wurzen gilt als eines der wichtigsten Neonazi- Zentren in Deutschland: Auf 17.000 Einwohner kommt ein harter Kern von dreißig rechten Kadern und ein Umfeld von bis zu dreihundert Unterstützern. In den Amtsstuben vor Ort nahm man's gelassen. Eine Demo von Autonomen, das schreckte Bürgermeister Anton Pausch (CDU) offenbar mehr als der üble Ruf seiner Gemeinde. Die Antifa wollte er nicht haben, die Demonstration verbieten. Dafür bekam er aus der SPD Beifall. Auch die Bündnisgrünen meldeten Zweifel an der Veranstaltung an. In einem offenen Brief kritisierte der Landesvorstand den Demo-Aufruf wegen seines „immanenten militärischen Grundverständnisses“. Statt Parolen zu dreschen, solle man dazu beitragen, daß „Menschen vor Ort initiativ werden und Zivilcourage beweisen“. Die Demo verhindert hat all das nicht.
Allmählich erwacht die Stadt. Doch nicht alle Geschäfte öffnen heute. Bei Leder-Hertel steht: „Aus technischen Gründen am 16.11. geschlossen.“ Auch die Stadtbibliothek am Markt bleibt zu. Elektro-Lai schraubt daumendicke Spanplatten vor seine Schaufenster: „Man weiß ja nie. Nachher gibt es dann Ärger mit der Versicherung.“ Der Hi-Fi-Laden läßt die Rolläden herunter; im Musik- Shop orakeln die Kunden: „Das Anliegen ist ja nicht schlecht“, meint eine Frau, „es muß endlich was unternommen werden gegen diese Rechten. Du weißt aber nie, was aus so einer Demo wird.“ 3.000 AntifaschistInnen aus der ganzen Bundesrepublik sind angekündigt. „Abwarten“, empfiehlt ihr Mann, „vielleicht brennt das Stadthaus.“
Die Kleinstadt Wurzen paßt nicht ins Hoyerswerda-Klischee. Keine tristen Betonzeilen, sondern eine kleine, feine Altstadt; kopfsteingepflasterte, krumme Gassen, denkmalgeschützte Häuser und das Geburtshaus des Dichters Joachim Ringelnatz. Kekse backen die Wurzener, dagegen sind die von Bahlsen Pappe.
Am Laternenmast welkt der Rest eines Rudolf-Heß-Aufklebers, am nächsten kleben Zettel von den Jungen Nationaldemokraten: „Zerschlagt die Antifa!“ Seit Tagen kursiert in der Stadt ein Flugblatt: eine Warnung vor „SED/PDS im Bündnis mit Anarchisten/Autonomen und Chaoten“. Die „roten Versager“ hätten in 40 Jahren DDR mehr Wohnsubstanz „verrotten lassen, als im 2. Weltkrieg durch feindliche Bomber zerstört wurde“. Unterzeichnet: „Volkstreue Bürger“. An einer Hauswand gegenüber: „Deutsche — wehrt euch gegen Linke Schmarotzer, ächtet die Wegbereiter von anarchistischen Verbrechen.“ Die plaudernden Frauen, die davorstehen, haben den Zettel noch gar nicht gesehen: „Was steht denn da, ist das Haus zu verkaufen?“ Gelächter beim Lesen. Nein, dazu wollen sie nichts sagen.
10 Uhr am Bahnhof. Die PolizistInnen haben sich über den ganzen Bahnsteig verteilt. Erst kommt die S-Bahn aus Leipzig. Niemand steigt aus. Dann die aus Riesa: ein paar Spartakisten mit Rucksäcken und roter Fahne. Ein silbergrauer Ford dreht eine Runde auf dem Bahnhofsvorplatz, biegt dann in die nächste Seitenstraße. Ein junger Mann mit kurzgeschorenem Haar steigt aus, geht telefonieren.
Alle Gaststätten sind geschlossen
In der Esso-Tankstelle ist auch nicht viel los. Hier treffen sich Wurzens „Nationaldemokraten“, ihr illegaler Treffpunkt auf der benachbarten Käthe-Kollwitz-Straße wurde im Mai geräumt. Die Polizei hatte 15 Molotowcocktails gefunden, die Stadt untersagte aus „brandschutztechnischen Gründen“ die Nutzung des rechten Szenetreffpunkts. Heute Nacht soll auf dem Dach eine Reichskriegsflagge gehißt worden sein. Die Polizei kann das nicht bestätigen, wohl aber, daß gegen Mittag auf dem Landratsamt für kurze Zeit eine schwarzweißrote Flagge wehte und von der Feuerwehr entfernt werden mußte.
11 Uhr am Bahnhof. Allmählich füllt sich der Platz. Busse treffen ein, S-Bahnen sind voll. Je mehr Leute kommen, desto lockerer wird die Polizei. Gute Laune zum schlechten Wetter. Sämtliche Gaststätten in Wurzen, man kann sie an einer Hand abzählen, sind geschlossen. Das einzige öffentliche WC auch. Seit der Bürgermeister begreifen mußte, daß er die Antifa-Demo nicht verbieten kann, will er sie wenigstens schikanieren.
Mehr als sechzig Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet unterstützen den Demo-Aufruf. Tausende warten inzwischen auf dem Bahnhofsplatz. Unter den Transparenten auch DDR-Fahnen und rote mit Hammer und Sichel. Der Lautsprecherwagen strahlt zur Unterhaltung ein Interview mit Bürgermeister Pausch aus: „Was wollen Sie gegen die Probleme in dieser Stadt unternehmen?“ — „Welche Probleme, bitte?“
„Aufruhr. Widerstand. Wurzen ist in Nazihand!“ 15.15 Uhr. Endlich geht es los, ungefähr 5.000 sind es. Haltepunkte der Demo sind die Orte, die für die rechtsextremistische Normalität in dieser Stadt und das Versagen der zuständigen Politiker, für die duldende Angst der Bevölkerung stehen: die alte Fabrik, in der einem Obdachlosen ein Auge ausgeschossen wurde. Der Marktplatz, wo sich die Rechten treffen. Die Jugendhäuser, wo „die Bunten“ unerwünscht sind. Die Bunten, das sind solche wie die Demonstranten. Die ziehen vorbei am Flüchtlingsheim, das nach regelmäßigen Überfällen 1991 geräumt werden mußte. „Flüchtlingsfrei“ ist Wurzen seither.
„Alle wegroochen, diese roten Socken“
Und die Wurzener selbst? Die stehen am Straßenrand. Oder sie gucken aus dem Fenster. Nur wenige gehen verstohlen ein paar Schritte mit. Hören die Demo-Parolen: „Wir haben euch was mitgebracht: Haß, Haß, Haß!“ Die vollständige Platte mit den bewährten Demo- Versen. Das gibt Kraft. Wenn irgendwo doch in einer Seitenstraße einige der 1.000 für heute eingesetzten Bereitschaftspolizisten erspäht werden, zuckt es durch die Menge: „SS – SA – SEK“ und was man noch so gelernt hat. An einem Haltepunkt redet PDS-Chef Lothar Bisky. Was er sagt, versteht kaum jemand. Ist ja auch egal. „Hoch-die-inter... Wir-kriegen- euch-alle!“ Silvesterraketen steigen auf, alle paar Minuten ein Blitzknaller in der Menge.
Hin und wieder kommt am Rande doch ein Gespräch mit Wurzenern zustande. Die Leute sind besorgt, weniger über die Demo als über die Zeit danach. „Dann kommen die Rechten wieder raus aus ihren Verstecken“, weiß eine Frau, „und du weißt nicht, was dann losgeht.“ Ein Mann im Jeansanzug steht allein, als er hetzt: „Alle wegroochen, diese roten Socken.“
Die Demo-Runde ist abgelaufen. Am Rückweg zum Bahnhof stauen sich die Massen, es wird eng, von hinten wird nachgedrängelt. Plötzlich schreit ein Polizist: „Steine!“ Ein Pflasterstein kommt geflogen, eine Batterie faustgroßer Brocken hinterher. Kreischende Zivilisten suchen Deckung, die Polizei zieht sich auf fünfzig Meter zurück. Ein Stein, noch einer, Sprechchöre. „Deutsche Polizisten“ und was sich darauf reimt. Ältere Leute stellen sich vor die jungen Kämpfer.
Etwas abseits steht ein Mann um die Fünfzig, Bart, Pferdeschwanz; heute morgen war er in der Esso-Tankstelle. „Was soll das hier“, fragt er, „so was zu veranstalten? Wir hatten hier seit Monaten Ruhe, und jetzt kommen diese Bunten. 150 Glatzen haben wir in der Stadt, die stören niemanden. Und da kommen diese Chaoten an und erklären eine ganze Stadt zur Nazi-Hochburg.“
Wurzen am Abend danach. Die Busse fahren wieder ab, die Polizei bleibt in Bereitschaft, und auf den Wurzener Straßen zieht wieder Ruhe ein. Der silbergraue Ford dreht wieder seine Runden. Drin sitzen kurzgeschorene junge Männer mit Bomberjacken und Handys. In dieser Nacht werden von der Polizei keine weiteren Vorkommnisse gemeldet.
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