: Bunkergraffiti zum Beispiel
Der Blick einer Journalistin auf ihre Arbeit und ihr Land ■ Von Naheed Mousavi
Während der Revolution versprach man uns viele Freiheiten, unter anderem Meinungs- und Pressefreiheit. Nach der Revolution gab es eine Wende um 180 Grad. Bald wurden wir Zeugen der Mißachtung von Glaubens- und Meinungsfreiheit, der Konfiszierung von Zeitungen und dem Auftritt mächtiger Lobbies und „Schwarzer Banditen“ (Schlägertrupps, A.d.Ü.). Die standen zwar nicht in unmittelbarer Verbindung mit der Regierung oder Polizei, aber ihre Aktivitäten wurden auch nicht verboten. Solche Gruppierungen waren es, die zuerst Journalisten angriffen, Zeitungsbüros und Gebäude demokratischer Institutionen attackierten: Sie legten Feuer in Pressebüros und Buchläden und schlugen JournalistInnen zusammen — überhaupt jeden, den sie als ihren Gegner ansahen. Damals standen wir alleine, und es gab weder Gesetze noch Gesetzeskräfte, die uns schützten. Dennoch machten wir bis zum Fall Ayandegan weiter, als wäre nichts. Die Ayandegan war unter dem Schah ein Verlautbarungsorgan der Regierung gewesen, wurde aber nach der Revolution von ihren MitarbeiterInnen übernommen und zu einer demokratischen Zeitung. Jetzt wurde sie verboten — und die Gründe, die man angab, waren selbst damals offenbare Vorwände: Wir begriffen zu diesem Zeitpunkt, unter welchem Risiko wir arbeiteten. Wenn sie mit einer so weitverbreiteten Zeitung derart umsprangen, was blühte dann der restlichen Presse?
JournalistInnen auf dem Campus: die Niederschlagung einer Demonstration
Im August 1979 waren die letzten Tage einer freien Presse angebrochen: Die Angriffe auf die nichtoffiziellen Zeitungen und Zeitschriften erreichten ihren Höhepunkt. Die Zeitungsleute beschlossen, eine Demonstration auf dem Campus der Universität von Teheran zu organisieren und von dort zum Ministerium des Premiers zu marschieren, um den Schutz der Gesetze für die Pressefreiheit zu fordern. Als wir auf dem Campus ankamen (der in diesen Tagen „Schützengraben der Freiheit“ genannt wurde), standen uns bereits die Lobbyisten gegenüber. Sie waren bewaffnet mit Messern, Prügeln und Rohren aus Metall, niemand war uniformiert. Abgesehen hatten sie es besonders auf die Frauen. Einige von uns konnten fliehen, aber nur wenige Straßen weiter versperrten sie uns wieder den Weg. Sie handelten „im Namen des Volkes“, wie sie es nennen. Sie hatten sich weiter bewaffnet und lastwagenweise Ziegelsteine, Metallrohre, Flaschen und Holzprügel herangeschafft. Wir hatten nur unser Schreibgerät bei uns, das bald zerbrochen werden sollte, und einige Ausgaben von Zeitungen, die eine Woche zuvor geschlossen worden waren — und unsere Träume von Freiheit, die in den Tagen der Revolution so oft beschworen worden waren. Viele von uns wurden schwer verletzt. Sie folgten uns bis zum Ministerium, und dort mischten sich Leute von drinnen ein: Man ließ Wasserwerfer auf uns los.
Das ist zwölf Jahre her. Die alten Gruppierungen haben sich zerstritten, und die derzeitige Regierung macht Gesten der Demokratisierung. Immer noch liegt zwischen diesen Gesten und der Praxis jedoch ein tiefer Graben; die Regierung sagt das eine, diese Gruppen tun das andere. Die Worte unserer Regierung haben ein Verfallsdatum von einem Tag bis zu höchstens sechs Monaten.
Die geheimen Regeln der Zensur — einschließlich der Selbstzensur
Heutzutage ist viel von Zensur und Selbstzensur die Rede. Gesetzlich scheint die Pressefreiheit geschützt, aber die Praxis sieht so aus, daß man nie weiß, was man schreiben darf und was nicht. Gerade haben wir gedacht, wir seien soweit und könnten über soziale Themen und die Notwendigkeit der Freiheit schreiben, da werden wir von einer Institution, die nichts mit der Presse zu tun hat, vorgeladen: dem Revolutionären Sonderankläger für Narkotika. Und auch unser Verleger oder der Inhaber der Zeitungslizenz werden vorgeladen. Wir wissen also nie, wo wir stehen. Wir fragen das Führungsministerium: „Mit wem müssen wir verhandeln? Ist es das Ministerium für islamische Führung? Ist es der Gesetzgeber? Oder müssen wir uns einer ganz anderen Behörde gegenüber verantworten?“
Wir wissen nicht, nach welchen Regeln die Zensur vorgeht oder wo unsere Grenzen sind. Vielleicht gibt es gar keine Grenzen, und unser Problem ist nur die eigene Angst. Selbstzensur erwächst aus vielen versteckten Ängsten. Ich weiß nicht einmal, ob sie existiert oder nicht. Wenn ich jedoch als Journalistin merke, daß mein Telefon abgehört wird, wenn mein Artikel vor dem Druck bekannt wird oder wenn einem die Kollegen nach einem bestimmten Artikel sagen, man solle besser Teheran verlassen..., dann muß man wohl, wenn man sich nicht bewußt für die Selbstzensur entscheidet, mit der Furcht leben, sich unbewußt selber zu zensieren. Mit dieser Furcht kämpfe ich, wie viele andere im Iran, seit zwölf Jahren.
Nach zwölf Jahren finden wir JournalistInnen langsam zu einer gemeinsamen Sprache. Wenn man uns bedroht, bedroht man uns wieder „im Namen des Volkes“. Wer ist dieses „Volk“? Seine Identität ist nie klar. Und wir können nur von „dem Volk“ sprechen, wenn jeder über alles objektiv informiert wird und sich nicht mit veralteten und schlecht übersetzten Nachrichten der Auslandspresse begnügen muß. Selbst dann würde ich es vorziehen, von der „öffentlichen Meinung“ zu sprechen.
In unserem Zusammenhang bedeutet „das Volk“ die Lobbyisten. Sie sind weiterhin am Werke, auch wenn ihre Methoden sich geändert haben. Inzwischen werden JournalistInnen kaum noch zusammengeschlagen oder Zeitungsbüros in Brand gesteckt; die demokratischen Gesten geben uns Schutz. Wir können sogar in offiziellen Zeitungen lesen, daß diese Gruppen untereinander streiten und sich gegenseitig beschwören, sich zur Zeit lieber ruhig zu verhalten und weder Intellektuelle noch altgediente Journalisten zu attackieren. Zur Zeit lassen sie Freiheiten zu. Aber wie lange wird das anhalten? Wann ist das „Verfallsdatum“ erreicht?
Wann ist das Verfallsdatum der derzeitigen Freiheiten erreicht?
Im Laufe der letzten zwei Jahre hat uns das Ministerium der Führung zu überzeugen versucht, daß die Situation sich geändert hat; der Krieg ist vorbei, und Khomeini ist tot. Sie bezeichnen sich selbst als Bewahrer der Freiheit und vergeben neue Verlagslizenzen. Diese Lizenzen jedoch bekommen nicht die bekannten JournalistInnen, geschweige denn solche, die sich in der Vergangenheit um eine Demokratisierung des Landes bemüht haben: Sie gehen ausschließlich an Leute, die durch die Mühle der behördlichen Sicherheitskontrolle gedreht und als harmlos eingestuft wurden. Wir sind weiterhin personae non gratae, denn als andere stumm blieben, haben wir unsere Stimmen erhoben.
Zu all dem müssen wir uns auch mit der Angst vor den Nachrichten und Informationen selbst herumschlagen. Nicht nur die Regierung, das Führungsministerium und die Lobbyisten haben Angst vor Informationen. Journalisten und Schriftsteller, die in den letzten zwölf Jahren unter so viel Druck haben leben mußten, haben Angst davor, die Wahrheit zu sagen, denn die Gefahr ist ja, daß der Druck dieser Jahre nicht wirklich vorbei ist. Wir haben eine ganze Terminologie entwickelt, um uns über die Situation zu verständigen. Da gibt es zum Beispiel die Ausgaben „mit allen Farben“ und die „grauen Ausgaben“. Wir sagen, wir haben eine Ausgabe „mit allen Farben“ produziert, wenn wir meinen, wir seien mutig gewesen und haben alle ernsten Fragen gestellt, zum Beispiel warum es keine politischen Parteien und keine Rechtsgarantien gibt oder ähnliche Menschenrechtsfragen. Während wir auf die Reaktion zu so einer „Alle-Farben“-Ausgabe warten, produzieren wir „graue“ Ausgaben, in denen wir keinerlei tiefergehende sozialpolitische Themen berühren.
Wir dürfen oft nicht die ganze Geschichte erzählen, denn wenn wir es täten, würde man uns vorladen und versuchen, die Namen von Kontaktpersonen herauszukriegen. Nachrichten sind ein gefährliches Gut, ständig tut man so, als ob wir Staatsgeheimnisse verraten wollten — an die Amerikaner oder sonstwen, der gerade unser Feind sein soll.
Während des Krieges war es schwierig, über die Situation an der Front zu berichten. Viele von uns wollten rasend gern ihren Kommentar darüber abgeben, daß Männer, die eingezogen wurden, so oft 48 Stunden oder zwei Monate später schon als Leichen zurückkamen. Als Frau durfte ich ohnehin nicht zur Berichterstattung an die Front, sondern höchstens aus den Städten berichten, die von Raketenbeschuß betroffen waren. Aber selbst diese Berichte wurden nie gedruckt. Das einzige, was ich als Journalistin in meinem eigenen Land während des Krieges schreiben durfte, war ein Bericht über die Luftschutzbunker in Teheran. Und selbst dann hielten mich Kollegen davon ab zu erwähnen, daß an den Wänden der Bunker Graffiti- Inschriften waren, in denen Leute Freiheit gefordert hatten und ein Ende des Krieges, ob siegreich oder nicht. Es scheint ganz so, als müßten wir uns auch weiterhin mit nur einer Geschichte pro Jahr begnügen, die „in allen Farben“ erscheinen darf.
Die Pressefreiheit ist nur ein Aspekt unserer Problematik. Denn Pressefreiheit kann es nicht geben, solange die wesentlichen Bürgerrechte — Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, politische und soziale Freiheit — nicht respektiert werden. Solche Freiheiten jedoch händigt keine Regierung freiwillig aus, sie toleriert sie höchstens. In den letzten zwölf Jahren haben wir tolerante und weniger tolerante Regierungen gehabt.
Wenn die derzeitige Regierung unsere internationalen Beziehungen wiederherstellen will und Freundschaften zwischen Ländern, auf klarer diplomatischer Grundlage, muß sie die Lobbyisten zum Schweigen bringen — also die „Schwarzen Banditen“. Wenn sie es nicht tut, werden die sie eines Tages aus dem Sattel heben. Diese Lobbyisten sind unauffällige Leuten, denen man jeden Tag auf der Straße begegnet, ohne sie zu erkennen. Sie sind nicht verschwunden, sondern warten nur darauf, daß ihre Zeit wiederkommt. Dann werden sie zuschlagen.
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