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Tote Hose an fast allen Haltestellen

Mit ihrem Warnstreik haben die Gewerkschaften Verdi und EVG den öffentlichen Verkehr in Deutschland weitgehend stillgelegt. Nun geht es zurück an die Verhandlungstische

Von Pascal Beucker

Die Gewerkschaften jubilieren, die Arbeitgeber toben und die Bevölkerung reagiert gelassen: Das sind die Reaktionen auf den bisher größten Mobilitätswarnstreik in der Bundesrepublik. Leergefegte Bahnhöfe, verwaiste Bus- und U-Bahn-Haltestellen, menschenleere Flughafenterminals, lange Reihen von abgestellten Passagierjets: Am Montag demonstrierten die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG in einer konzertierten Aktion, welche Macht Gewerkschaften in Deutschland noch haben können.

„Wirklich alle Mitglieder“, die zu dem Warnstreik aufgerufen worden seien, hätten sich auch beteiligt, freute sich der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Es sei „einfach Druck auf dem Kessel, weil die Beschäftigten es leid sind, sich jeden Tag mit warmen Worten abspeisen zu lassen, während die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden und viele Stellen unbesetzt sind“, sagte er am Montag in Potsdam. Insgesamt hätten sich an den diversen Warnstreiks in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes in den vergangenen Wochen mehr als 400.000 Beschäftigte beteiligt. „Das ist die größte Warnstreikbeteiligung seit vielen Jahren und Jahrzehnten.“

Auch sein EVG-Pendant Martin Burkert zeigte sich zufrieden mit der Streikbeteiligung. „Über 30.000 Kolleginnen und Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt“, sagte er. „In einem Dreischichtbetrieb ist das eine enorme Zahl.“ Alle Fernverkehrszüge und die allermeisten Nahverkehrszüge hätten stillgestanden. „Mobilität ist systemrelevant“, sagte Burkert. Das müsste sich nun auch in einem „verhandlungsfähigen Angebot“ der Arbeitgeberseite widerspiegeln.

Von verbesserten Angeboten ist jedoch bislang nichts zu hören. Stattdessen echauffierten sich die Arbeitgeber über den Tagesausstand. „An diesem überzogenen und übertriebenen Streik leiden Millionen Fahrgäste, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind“, sagte Bahn-Konzernsprecher Achim Stauß. „Nachteile haben auch Tausende Unternehmen in der Wirtschaft, die üblicherweise ihre Güter auf der Schiene empfangen oder versenden.“ Es sei „sehr befremdlich, dass man heute streikt und erst in fünf Wochen bereit ist, wieder mit uns zu verhandeln“, kritisierte Stauß die EVG.

„Es ist einfach Druck auf dem Kessel“

Verdi-Chef Frank Werneke

Die Gewerkschaften würden „überziehen“, kritisierte die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD). „Dass die Streiks mittlerweile flächendeckend und in einer solchen Intensität erfolgen, kann ich nicht nachvollziehen“, sagte die Verhandlungsführerin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA).

Völlig die Fassung verlor der Flughafenverband ADV. Der Ausstand vom Montag habe „jedes vor­stell­bare und ver­tret­bare Maß“ gesprengt, empörte sich ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Bei­sel. Das habe „nichts mehr mit einem Warn­streik zu tun“, sondern sei viel­mehr „der Ver­such, per Gene­ral­streik fran­zö­si­sche Ver­hält­nisse in Deutsch­land ein­zie­hen zu las­sen“.

Die Bür­ge­r:in­nen reagierten gelassener: Sie hatten sich vielerorts auf die Einschränkungen eingestellt. Das befürchtete Verkehrschaos in den Städten und auf den Autobahnen blieb jedenfalls weitgehend aus. „Wer kann, ist im Homeoffice geblieben“, vermeldete der ADAC. So wurden größere Staus nur vereinzelt von der Polizei gemeldet. Dazu beigetragen haben dürfte, dass Tunnelsperrungen durch Notdienstvereinbarungen von Verdi mit der Autobahn GmbH des Bundes vermieden werden konnten.

Streikende in Hamburg mit einer Forderung an Arbeitgeber-Verhandlerin Nancy Faeser Foto: Marcus Brandt/dpa

Während bei der Deutschen Bahn erst Ende April die nächste Tarifverhandlungsrunde ansteht, begann am Montag in Potsdam die dritte und als entscheidend geltende Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, die bis Mittwoch terminiert ist.

Er erwarte, dass „ein deutlicher Schritt auf die Beschäftigten und uns als Gewerkschaft zugegangen wird“, sagte Verdi-Chef Werneke – und zwar „nicht irgendwann erst am dritten Tag“. Das Wichtigste sei für die Beschäftigten ein „sozial balancierter Tarifvertrag“, also eine soziale Komponente in Form einer Lohnerhöhung um einen festen Betrag für alle Beschäftigten von mindestens 500 Euro monatlich. Das verweigere jedoch bisher die Arbeitgeberseite. „Wir streben ein erfolgreiches Verhandlungsergebnis an“, verkündete Werneke gleichwohl.

„Wir haben ein gutes Angebot vorgelegt“, sagte dagegen Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die Verhandlungsführerin des Bundes. Sie erwarte „jetzt erst mal“, dass die Gewerkschaften nicht länger auf ihren hohen Forderungen beharrten, sondern „vielleicht uns auch ein Stück entgegenkommen“.

Es fährt ein Zug nach Bad Herrenalb

Die S1 zieht einsam im 20-Minuten-Takt ihre Kreise. Es ist die einzige Bahnlinie, die zuverlässig vor dem Karlsruher Hauptbahnhof hält. Warum die S1? Sie ist eine von drei Linien in Karlsruhe, die von der Albtal-Verkehrsgesellschaft (AVG) betrieben wird und auf deren eigenen Gleisen fährt. Bei der AVG gab es schon im November einen Tarifabschluss, dort herrscht Friedenspflicht. Die Fahrgäste aus dem nahegelegenen Bad Herrenalb wissen es zu schätzen. Die Wagons sind gut gefüllt.

In der Bahnhofshalle dagegen: gähnende Leere. Nur wenige Fahrgäste sind gestrandet, eine Frau berichtet am Handy von ihrer Irrfahrt: Von hier komme sie nicht weiter, berichtet sie ihrer Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung. „Erschreckend leer war es hier heute morgen“, findet selbst Gewerkschaftssekretär Fabian Pangsy am Streikposten. In Karlsruhe sind vom DB-Streik der EVG vor allem die vielen Pendler nach Stuttgart getroffen. Anders als beim Streik 2018, als man von Fahrgästen bespuckt worden sei, gab es diesmal wenig Unmut, findet Pangsy. Er glaubt, es liegt an der Länge des Streiks. Auf 24 Stunden Auszeit könnten sich die Reisenden besser einstellen als auf acht Stunden wie damals. (bst)

Kein Schlaf bis zur nächsten Nachtschicht

Der Hamburger Hauptbahnhof ist am Montagmorgen fast menschenleer. Nur einige wenige haben vergessen oder nicht mitbekommen, dass gestreikt wird. Etwa ein Gebäudereiniger der Hochbahn, der von der Nachtschicht kam und schon seit mehreren Stunden am Bahnhof wartet: Er hat den Streik vergessen, sagt er, sonst wäre er mit dem Auto gefahren. Er hofft auf einen Schienenersatzverkehr, um vor dem nächsten Schichtbeginn am Abend noch einmal nach Hause zu kommen.

Um 8 Uhr kommt doch Leben in den Bahnhof: Streikende der EVG laufen mit Trillerpfeifen über die Bahnsteige. Zwei streikende Gebäudereiniger der DB sagen, ihr Lohn sei „einfach zu niedrig“. Eine Mitarbeiterin des DB-Service sagt: „Gerade für Berufsgruppen wie die Gebäudereiniger ist mehr Lohn wichtig bei diesen steigenden Preisen.“ Etwas abseits wartet eine junge Frau. Sie muss auf die andere Elbseite zur Ausbildung und wird von einem Kollegen abgeholt. „Wenn die es nötig haben, sollen sie streiken. Es sollten sich aber bessere Möglichkeiten überlegt werden, wie die Leute an ihr Ziel kommen“, sagt sie. (emt)

Köln/Bonn „ist jetzt ein ökologischer Flughafen“

In Nordrhein-Westfalen bleibt am Montagmorgen das befürchtete Verkehrschaos auf den Autobahnen aus: Entgegen vielen Erwartungen sind die Fernstraßen im bevölkerungsreichsten Bundesland weitaus leerer als sonst zum Wochenstart. So meldet der WDR in seinem Verkehrslagebericht zur Rushhour um 7 Uhr gerade einmal 65 Kilometer Stau landesweit. Um 8 Uhr sind es sogar nur noch 38 Kilometer – statt wie sonst oft montagmorgens bis zu 200.

Offenbar setzen viele Pendler:innen, die seit Tagen auf allen Kanälen vor dem drohenden Verkehrschaos gewarnt wurden, wie in Coronazeiten aufs Homeoffice, Urlaub oder innerstädtisch auf alternative Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder E-Scooter. Gespenstisch bleiben jedenfalls auch die Bahnhöfe. „Zug fällt aus“ steht auf der großen Info-Tafel des Dortmunder Hauptbahnhofs um 6.30 Uhr hinter allen Verbindungen. An den Flughäfen geht am Montag ebenfalls wenig bis nichts. Lahmgelegt ist etwa der Airport Köln/Bonn: „Hier ist alles dicht. Das ist jetzt ein ökologischer Flughafen“, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Frank Michael Munkler. (wyp, dpa)

Mehr Kamerateams als Pendler

Dass gestreikt wird, steht auf den digitalen Anzeigen des Berliner Hauptbahnhofs. In Dauerschleife gibt es Durchsagen. Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Bahn sind aber weit und breit nicht zu sehen, die meisten Informationsschilder nur auf Deutsch. Und genau dies stellt einige ausländische Tou­ris­t:in­nen vor echte Herausforderungen. Ein Norweger, der auf dem Weg zu seiner Familie nach Kopenhagen ist, hat erst von Jour­na­lis­t:in­nen erfahren, dass gestreikt wird und alle Züge ausfallen. Etliche Kamerateams sind auf der Suche nach Betroffenen, nach guten Bildern. Mehr als vereinsamte Bahnsteige gibt es aber nicht zu filmen. Auch zwei Backpacker auf dem Weg nach Prag wurden von der Lage überrascht. Während der Norweger noch einen Tag in Berlin dranhängen will, ist es für die beiden jungen Leute nicht ganz so einfach. Sie wollen weiter auf ihrer Tour durch Europa. Trotzdem: Solidarisch sind alle mit den Streikenden. Wie auch viele Berliner:innen. Wenig überraschend ist die U-Bahn U5, die direkt am Hauptbahnhof endet, völlig überfüllt. „Streik muss sein“, sagt einer, der jetzt zur Tram hetzt, um den Anschluss noch zu erwischen. (tat)