Bundeswehr blockiert Windkraftausbau: Mission Windstille
Alle Bundesländer müssen zwei Prozent ihrer Fläche für Windräder zur Verfügung stellen. In Baden-Württemberg scheitert das oft an der Bundeswehr.
Matthias Griebl hat was vor. Seit den 1990er Jahren betreibt seine Firma ein Windrad auf der Hornisgrinde, einem besonders windhöffigen Berg im nördlichen Schwarzwald. Die Bedingungen hier sind ideal, die Luftdichte ist hoch, der Wind weht oft und stark. Viel Wind also, der „geerntet“ und ins Stromnetz eingespeist werden kann. Erst 2014 hat er das bisherige Windrad deswegen vollständig erneuert. Seit acht Jahren kämpft Griebl für die Genehmigung dreier weiterer Windräder, die er zusammen mit dem E-Werk Mittelbaden nebenan errichten möchte.
Alle notwendigen Prüfungen wurden veranlasst, auch die Gemeinden wurden bei den Plänen mit einbezogen. Nun droht der jahrelange Aufwand umsonst gewesen zu sein: Die Bundeswehr, das erfuhr Griebl von Brancheninsidern, möchte den militärischen Schutzbereich um eine nahe gelegene Antenne erweitern. Der Bau wäre dann nicht mehr möglich.
In einem Schreiben an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), das der taz exklusiv vorliegt, wirft die baden-württembergische Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) der Bundeswehr nun vor, die Energiewende zu behindern: Bestehende Planungen zum Ausbau der Windkraft würden gefährdet. Obwohl die Bundeswehr ein stärkeres Entgegenkommen angekündigt habe, würde sie gegenteilig handeln.
Das zeige laut dem Schreiben auch das Beispiel Hornisgrinde. Hier habe die Bundeswehr zuvor einen Kreis mit 400 Meter Radius blockiert. Jetzt solle der Bedarf ausgedehnt statt eingeschränkt werden, auf 2.000 Meter in jede Richtung. Eine Prüfung des Verteidigungsministeriums habe nicht die zuvor versprochene Erleichterung gebracht.
Bundeswehr breitet sich aus
Griebl selbst formuliert den Vorwurf gegenüber der taz noch stärker: Die Bundeswehr nehme es mit veranschlagten Störradien nicht allzu genau, vielleicht sogar, um entsprechend schnell Einspruch einlegen zu können. Für das bestehende Windrad etwa legte die Bundeswehr im Jahr 2012 Einspruch ein. Das Windrad stünde im 400-Meter-Radius der Antenne. Erst der Hinweis, dass sich die Antenne 700 Meter entfernt befinde, habe die Bundeswehr gezwungen, die Blockade aufzugeben, so Griebl. „Man hatte vergessen, dass die Antenne einige Jahre zuvor „umgezogen“ war.
Ob der durch die Bundeswehr jetzt neu veranschlagte 2.000-Meter-Radius wirklich notwendig sei, das ließe sich nur schwer feststellen. „Aber den Nachweis müssen dann wir erbringen. Das wären mindestens zusätzliche Kosten und ein hoher zusätzlicher Aufwand.“ Falls es überhaupt möglich ist.
Eigentlich rücken die Ziele der Bundesregierung in greifbare Nähe, so schätzt es auch der Bundesverband Windenergie ein. Aber über die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Energie soll bald aus Windkraft kommen. Dafür muss bis 2032 jedes Bundesland mindestens 2 Prozent der Landesfläche für Windenergie bereitstellen, so schreibt es das Erneuerbare-Energien-Gesetz vor.
Dass Bauvorhaben in den Ländern dabei häufiger mit Interessen der Bundeswehr kollidieren, ist keine Seltenheit. Kein Wunder: Allein die Standorte und Liegenschaften in Deutschland belegen zusammen eine Fläche von rund 263.000 Hektar. Auf der Website der Bundeswehr heißt es: „Das entspricht ungefähr der Größe des Saarlandes oder der Fläche von 369.000 Fußballfeldern.“
Viel Konfliktpotential
Dazu kommen weitere Flächen, die für Windkraft weitestgehend nicht zur Verfügung stehen: Fünf größere Hubschrauber-Tiefflugstrecken ziehen sich dazu durch Deutschland. Zwei davon betreibt die Bundeswehr in Baden-Württemberg, jeweils eine weitere in Bayern, Hessen und Niedersachsen. Jeder dieser Flugkorridore blockiert rechts und links der Strecke 1.500 Meter, in denen nicht hoch gebaut werden darf. Das heißt: auch keine Windräder, besonders nicht die neuen, oft deutlich größeren.
In von der Bundeswehr ausgezeichneten Zonen mit „Radarmindestführungshöhen“, wichtig für die Flugsicherheit, können ältere Windräder zudem häufig nicht durch höhere ersetzt werden. Auch Übungen und Manöver nehmen weiteren Platz in Anspruch. Und kleinere Windräder zu bauen ist oft unwirtschaftlich.
Wegen zweier Luftwaffen-Standorte in Laupheim und Niederstetten ist Baden-Württemberg von Bedarfen der Bundeswehr stark betroffen. Allein die für Hubschrauber-Tiefflüge reservierten Korridore machen einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Landesfläche aus. Zusammen mit anderen Einschränkungen wie etwa Schutzabständen um Antennen blockierten Vorgaben der Bundeswehr somit rund 30 Prozent der ohnehin schon spärlichen Flächen, auf denen Windanlagen entstehen könnten, schreibt Umweltministerin Walker. Der Windkraftausbau sei dort weitestgehend unmöglich.
Aber auch andere Bundesländer haben ihre Schwierigkeiten. In einer internen Umfrage eines Projektierers, in der Hinderungsgründe für den Bau von Windenergie-Anlagen abgefragt wurden, stechen aber besonders Niedersachsen und Rheinland-Pfalz hervor, gefolgt von Sachsen und Brandenburg. Hier werden auch besonders viele Windräder gebaut. Ein Großteil der Konfliktfälle bei Windenergieprojekten war dabei neben dem Arten- und Denkmalschutz auf Konflikte mit der Bundeswehr zurückzuführen.
Hoher bürokratischer Aufwand
Auch die Fachagentur Windenergie hat 2022 eine Umfrage gemacht: Neben Planungs- und baurechtlichen Fragen und dem Artenschutz stehen Konflikte mit der Bundeswehr dort ganz oben auf der Liste der Hemmnisgründe für den Bau von Windenergieanlagen.
Sowieso schon stehen für Planer:innen nicht viele Flächen zur Verfügung: Der Wind muss pusten. Die Infrastruktur für den Bau und Transport muss vorhanden sein, der Boden richtig beschaffen. Natur- und Umwelt müssen geschont werden, sowie auch die Menschen. Es gibt Regeln zum Licht- und Schattenwurf, der Schallbelastung, der Mindestentfernung zur nächsten Wohnbebauung.
Aus Sicht der Planer:innen bedeuten schon diese vielen Anforderungen einen hohen bürokratischen Aufwand: Schall- und Schattenwurfprognosen müssen erstellt werden, Streckenstudien, Vermessungen, Untersuchungen und Prognosen über Arten- und Naturschutz, Boden, Ertrag.
Aber ganz am Schluss der Verfahren steht die Prüfung verschiedener „Träger öffentlicher Belange“, ob die geplante Windenergieanlage öffentliche Interessen berühren würde. Eins dieser öffentlichen Interessen: Sicherheit. Hier kommt die Bundeswehr ins Spiel.
Bearbeitungsdauer: 414 Tage im Schnitt
Die Genehmigungsbehörde beteiligt im ordentlichen Verfahren die Bundeswehr – genauer: das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (BAIUDBw). Das prüft Karten, fragt verschiedene Fachdienststellen an – und verhindert zum Schluss regelmäßig den Bau von Windrädern und Stromtrassen.
Ein Sprecher des BAIUDBw versicherte der taz trotzdem, dass „die Bundeswehr die Ziele der Bundesregierung zum Ausbau erneuerbarer Energien unterstützt“. Ganzen 95 Prozent der Genehmigungs- und Vorbescheidsverfahren für Windenergieanlagen wäre im Zeitraum von 2020 bis 2023 direkt zugestimmt worden. Die 5 Prozent verhinderten Anlagen seien außerdem nicht allein auf die Bundeswehr zurückzuführen.
Aber natürlich beziehen Planer*innen das schon mit ein: Sogenannte informelle Vorabfragen stellen sie nur, wenn sie sich überhaupt Erfolg erhoffen. Wenn sie sie stellen, verzögert die Bundeswehr Planungen dann regelmäßig. Die bereits genannte interne Umfrage eines Projektierers zeigt durchschnittliche Bearbeitungsdauern von 414 Tagen.
Insider vermuten deshalb, dass die Bundeswehr nicht flexibel genug aufgestellt ist, um auf den beschleunigten Windkraftausbau zu reagieren. Das BAIUDBw gibt Anfragen weiter an die Fachreferate, etwa das Luftfahrtamt der Bundeswehr oder das „Zentrum Elektronischer Kampf“. Wenn eines der Referate Einspruch erhebt, lehnt das BAIUDBw mal wortkarg ab, manchmal lässt es die Entscheidung auch offen und verweist auf das ordentliche Genehmigungsverfahren. Das BAIUDBw selbst könne die Urteile der Fachreferate oft nur hinnehmen und in Einzelfällen wenig bewirken.
Energiepolitik ist Sicherheitspolitik
Bei wpd, einem großen Entwickler und Betreiber von Windenergieanlagen, wünscht man sich deswegen eine engere Zusammenarbeit und schnelleres Handeln. Individuellere Lösungen für Standorte blieben aus formalen Gründen oft unberücksichtigt, sagt Nico Froese, Jurist bei wpd, der taz. „Die Zusammenarbeit mit der unteren und mittleren Ebene der Bundeswehr verläuft aber gut.“
Häufig kommunizierten die Projektierer lokal und arbeiteten vor Ort gut zusammen. Mit einzelnen Bundeswehr-Standorten konnten etwa zeitweise Abschaltungen von Windenergieanlagen vereinbart werden, um den reibungslosen Ablauf von Militärübungen zu gewährleisten.
Aber die Regel ist das nicht. Zwar wurden Hubschrauberstrecken gebündelt und damit der Flächenbedarf etwas reduziert. Er sei aber immer noch deutlich zu hoch, sagt Walker der taz. Sie fordert deswegen eine genauere Prüfung der Einzelfälle sowie eine erneute Prüfung der Hubschrauber-Tiefflugstrecken.
Energiepolitik sei Sicherheitspolitik, denn „jedes Windrad, das in die Höhe wächst, entzieht der Drohung Putins mit neuen Preisschocks auf den Energiemärkten weiter Boden“. Außerdem: Windräder müssten stehen, wo am meisten Wind weht. „Sie können nicht ausweichen, Hubschrauber schon.“
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