: „Bund souveräner Republiken“
■ Gespräch mit dem Präsidenten der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien, Franjo Tudjman, Vorsitzender der Regierungspartei HDZ
INTERVIEW
Das Parlament der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien beschloß am Donnerstag Verfassungsänderungen, die einen Schritt zur Eigenstaatlichkeit bedeuten. Im ersten Verfassungsartikel wird auf die „politische und wirtschaftliche Souveränität“ der Republik hingewiesen, der Begriff „sozialistisch“ wurde getilgt. Die rückständige Wirtschaft und die komplizierten Beziehungen zu den in Kroatien lebenden Serben stellen die regierende Kroatisch -demokratische Partei (HDZ) jedoch vor eine Zerreißprobe.
taz: Kroatien hat, wie vorher schon Slowenien, seine Souveränität erklärt, die Situation im Kosovo verschlimmert sich. Ist eine gemeinsame jugoslawische Politik überhaupt noch möglich?
Franjo Tudjman: Eine gemeinsame jugoslawische Politik wie früher ist nicht möglich, aber vielleicht eine gemeinsame vertragliche Vereinbarung über die Art des Zusammenlebens der jugoslawischen Völker. Wir in Kroatien suchen das demokratische Gespräch mit anderen, wir suchen nach Lösungen und einer neuen Art des Zusammenlebens. Darin stimmen uns auch grundsätzlich die anderen Völkergemeinschaften Jugoslawiens zu.
Hängt das Schicksal Jugoslawiens von den nächsten politischen Schritten Kroatiens ab?
Auf keinen Fall, sondern auch von dem Verhalten und den Entscheidungen der anderen, insbesondere Serbiens. Wir sind bereit, unsere Vorschläge zu unterbreiten, wie und unter welchen Bedingungen wir weiterhin in diesem Staat zusammenbleiben können.
Die Serben in Kroatien - 11 Prozent der Bevölkerung verlangen neben der politischen auch eine territoriale Autonomie. Wie wollen Sie die ethnischen Problem lösen?
Seit dem Amtsantritt der neuen demokratischen Regierung in Kroatien haben wir das Recht der Kroaten auf Souveränität proklamiert, aber auch gleichzeitig ausdrücklich betont, daß wir für die serbische Bevölkerung in Kroatien alle bürgerlichen und nationalen Rechte garantieren.
Eine territoriale Autonomie werden Sie nicht zugestehen?
Von einer territorialen Autonomie kann keine Rede sein. Das werden wir nicht zulassen.
Erkennen Sie die staatliche Souveränität der Republik Bosnien und Herzegovina und die bosnische Bewegung an?
Solange die jetzigen jugoslawischen Grenzen und die Verfassung existieren, erkennen wir auch die Grenzen von Bosnien und Herzegovina an. Für den Fall, daß es zu Veränderungen kommt, haben wir gesagt, daß allein die dort lebende Bevölkerung über das eigene Schicksal demokratisch entscheidet. Bosnien und Herzegovina sind aber durch die wirtschaftlichen Beziehungen und das Verkehrswesen traditionell eher dem Westen zugehörig.
Ist für Sie die Idee eines konföderatives Jugoslawien realistisch?
Jugoslawien ist nur als ein Bund souveräner Republiken möglich, nach dem Vorbild der jetzt im Entstehen begriffenen EG.
Am 25.Juli wurde in Kroatien eine Verfassungsänderung vollzogen, ähnlich der slowenischen.
Wir haben in politischen und wirtschaftlichen Fragen eine große Übereinstimmung mit Slowenien. Am 25. Juli wurde das Wort „sozialistisch“ gestrichen, und der fünfzackige Stern wird von der Fahne entfernt. Viele Umstrukturierungen im politischen Apparat werden vorgenommen, um mehr politische und wirtschaftliche Selbständigkeit zu erreichen.
Die Albaner in Kosovo verlangen die Anerkennung, den Status eines Volkes, außerdem die territoriale Autonomie...
Das müßte ihnen nach der jetzigen Verfassung zuerkannt sein (...) Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Völker unterstütze ich natürlich solche Bestrebungen der albanischen Bevölkerung im Kosovo (...)
Die Wirtschaftsmaßnahmen des jugoslawischen Premiers Ante Markovic haben die Inflation gebändigt, dennoch wird aus Kroatien Kritik an seiner Wirtschaftspolitik laut.
Markovic ist es gelungen, die Inflation zu stoppen. Diese und andere Maßnahmen von Markovics Kabinett verdienen Unterstützung, soweit sie dazu verhelfen, konsequent die Marktwirtschaft einzuführen. Die Vorbedingung für solche Maßnahmen ist natürlich eine pluralistische demokratische Gesellschaft, und da liegt der Widerspruch. Wir sind gegen alle Sanktionen Markovics, die eine Zentralisierung bedeuten, ob finanziell oder politisch.
Mit welchen Maßnahmen gedenken Sie die Probleme zu lösen, die das Resultat einer 45jährigen Mißwirtschaft des Realsozialismus sind?
Erstens mit der Sicherung der wirtschaftlichen Selbständigkeit Kroatiens; dann mit einem Maßnahmenpaket, das uns so schnell wie möglich aus der realsozialistischen Wirtschaft entfernt und uns ermöglicht, eine Gesellschaft nach dem Vorbild der freien westlichen Welt aufzubauen. Das heißt konkret: die Anerkennung und Förderung des Kleinunternehmertums, die Einführung von Aktien.
Erwarten Sie dann eine baldige Aufnahme Kroatiens in die EG?
Das ist natürlich unser Wunsch, aber dafür müssen bekanntlich verschiedene Bedingungen erfüllt sein.
Welche politischen Folgen hat die Entdeckung der Nachkriegs -Massengräber wie in Jazovka?
Für mich persönlich und für die neue kroatische Regierung wird dadurch die Notwendigkeit bestätigt, endlich Frieden zu schließen. Unser Wahlsieg ist das Ergebnis eines entsprechenden politischen Programms: Wir haben ausdrücklich betont, daß wir für das kroatische Volk eine Befriedigung im geistigen Sinne anstreben. Das, was mit den Kroaten im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, ist eine Folge der allgemeinen historischen Gegebenheiten (...) Wir vertreten eine klare Meinung zu unseren Kriegsverbrechen: auf beiden verfeindeten Seiten gab es Idealisten und andere. In Kroatien haben Kroaten für die Freiheit des Landes unter verschiedenen Fahnen gekämpft. Sogar ein General Franco hat dies erkannt und hat vor 30 Jahren faschistische und kommunistische Opfer zusammen begraben. Nur durch diese Art der Befriedigung kann man zu einer demokratischen Gesellschaft gelangen, in der es keine verfeindeten Seiten mehr gibt. Ein solcher Friede ist bei uns noch nicht geschlossen worden - der Weg zur Demokratie ist deshalb erschwert. (...) Die Kroaten, behaupte ich, haben keine größeren Verbrechen hier begangen als andere. Das kroatische Volk hat nicht weniger, sondern mehr Kriegsopfer als die Serben. (...) Man sollte ein Denkmal für alle Kriegsopfer bauen und sich endlich bewußt werden, daß dies alles Folgen der geschichtlichen Situation waren, in der sich Kroaten und Serben und übrigens auch alle europäischen völker befunden haben. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs war die Zeit, in der zwei vorherrschende Ideologien des 20.Jahrhunderts aufeinanderprallten, und das obendrein auf dem Gebiet des im Verfall befindlichen Jugoslawien! Also müssen wir der Wahrheit ins Auge schauen und nach diesen bitteren Erfahrungen eine demokratische Gesellschaft aufbauen, um weiteres Unglück und neue Tragödien zu verhindern.
Ist eine solche „Befriedigung“ auch notwendig zwischen Deutschland und Osteuropa?
In Europa ist eine solche Befriedigung schon vollzogen. Die ehemals verfeindeten Staaten sind nicht nur Verbündete, sondern auch Freunde. Warum sollte also ein solcher Prozeß nicht auch in und mit Osteuropa stattfinden? Wir haben sie auch in Kroatien eigentlich vollzogen. Diejenigen, die jetzt nach Gräbern suchen, um damit den Haß zu schüren, sind offensichtlich Gegner geschichtlichen Fortschritts und demokratischer Veränderungen. Ich denke, daß das kroatische Volk in seiner Mehrheit die Idee des Friedens angenommen hat; ich sehe, daß ein solcher Wille auch bei Teilen der serbischen Bevölkerung vorhanden ist, die die Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenlebens einsehen und die neue demokratische Regierung anerkennen (...)
Wäre es „Befriedung“, wenn sich Kroaten und Serben gegenseitig vor ihren Gräbern verbeugen würden?
Natürlich! Allein das wäre gerecht.
Interview: Renate Reinhardt
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