: Bulgariens Tal der Rosen blüht noch nicht
Das Rosental, einst bedeutendster Lieferant für Parfüm und Kosmetika in ganz Europa, hat große Schwierigkeiten mit dem Wirtschaftsaufschwung/ Industriemetropole Karlovo ist heruntergekommen/ Industrieanlagen liegen brach ■ Aus Karlovo Roland Hofwiler
Das Rosental, das muß man gesehen haben. Es gibt keinen bulgarischen Reiseführer, in dem nicht über die „einzigartige“ Naturlandschaft, über das „europäische Kaschmir“ geschwärmt wird. Jetzt, Anfang Mai, blüht es noch nicht in der „Rosova dolina“, der langen, fruchtbaren Tiefebene im Herzen Bulgariens an den Ausläufern des Balkangebirges. Es ist hier kühler als in anderen Landesteilen, das besondere Mikroklima führt aber auch dazu, daß im Hochsommer die Felder und Wiesen nicht verdorren wie sonst auf dem südlichen Balkan überall. Und so reihen sich Rosenfelder an Rosmarin-, Lavendel- und Minzeparzellen, Tulpenbeete an solche für Gewürz- und Heilpflanzen.
Holländische Tulpenzüchter und Gewächshausbauern holten sich nach dem Krieg hier Inspirationen und Zuchtpflanzen. Noch in den fünfziger Jahren war die Gegend zwischen Karlovo und Magliz der bedeutendste Lieferant für Parfüm und Kosmetika in ganz Europa, denn hier gab es das begehrte Rosenöl. Das änderte sich aber bald. Nach der kommunistischen Machtübernahme wurden nicht nur die traditionellen Rosenbauern — meist Angehörige der türkischen Minderheit, deren Vorfahren der Legende nach schon im 13. Jahrhundert die Rosenzucht aus Persien nach Bulgarien brachten — enteignet, sondern auch ehrgeizige Pläne entwickelt, der Kosmetikaindustrie Frankreichs Konkurrenz zu machen. Bekanntlich schlug dies kläglich fehl.
Heute, 30 Jahre später, ist Karlovo eine heruntergekommene Industriemetropole. Die großen Rosenöldestillationsfabriken, die Spinnereien für Baumwoll- und Seidenerzeugnisse liegen brach. In den Maschinenbauwerken für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge stockt die Produktion. Die Hälfte aller Berufstätigen, so eine offizielle Information, erhält augenblicklich „unbezahlten Urlaub“. Landesweit sollen es nach Angaben der Regierung 120.000 „Urlauber“ sein, nach Oppositionsangaben bis zu 600.000 — und das bei rund dreieinhalb Millionen Arbeitnehmern.
Im einstmals reichen Rosental sind die Menschen besonders empfindlich geworden. Die Geschäfte sind leer, abgesehen von angefrorenen Krautköpfen und Tomatenkonserven findet sich nichts. Für Frühaufsteher gibt es noch Milch und Brot. Tausende Rosentaler suchten seit der „Wende“ im westlichen Ausland oder in Übersee ihr Glück. Verbitterung, Hilflosigkeit und Lethargie ist bei denen anzutreffen, die geblieben sind.
Leise Hoffnung bewegte in diesem Frühjahr die Gemüter. Im Februar wurde ein neues Bodengesetz verabschiedet. Die ländliche Bevölkerung bekam ihr einst enteignetes Land zurück, aber sie bekam keine Maschinen, Geräte, Düngemittel und vor allem keine Brennstoffe. Müssen private Haushalte damit zurechtkommen, daß durch tägliche Stromsperren elektrische Geräte nur stundenweise eingeschaltet sein können, hat man den neuen Privatbauern zur Auflage gemacht, Gewächshauskulturen aufzubauen. In einer beispiellosen Fernsehkampagne wird suggeriert, allein die Bauern könnten die marode Wirtschaft wieder in Gang bringen. Ja, man behauptet, Holland mit seiner Blumen- und Gewächshauskultur von Platz eins in Europa verdrängen zu können. Ein Moderator wörtlich: „Auf dem Weltmarkt hatte einst Bulgarien bei diesen Produkten seinen eigenen Platz. Wir setzten jährlich 120.000 Tonnen Gewächshauspflanzen und Millionen Blumen ab. Auf dem skandinavischen, deutschen und französischen Markt hatten wir einfach keine Konkurrenten. Und dies muß wieder so werden.“
Doch die Bauern schauen sich die Wiesen und Äcker an und sagen, das sei nichts als Wunschdenken. Sie wissen nicht, woher das Saatgut nehmen, man rät ihnen, es zu Dollar- Preisen auf dem Weltmarkt direkt zu kaufen, stellt jedoch dafür weder Lewa-Kredite, Devisen oder Transportfahrzeuge zur Verfügung. So findet man nirgends Ersatzteile für Maschinen. Auf dem freien Markt sind keinerlei Brennstoffe erhältlich, seitdem die Sowjetunion ihre Erdöl- und Erdgaslieferungen im letzten Jahr nahezu einstellte.
Und dennoch zieht es immer mehr Städter aus Karlovo ins Rosental. Mit Hacke und Sichel bearbeiten sie Land, und wo einst Rosen und Tulpen wuchsen, beginnen sie Getreide und Kartoffeln anzupflanzen. Die Sofioter Regierung schimpft, Getreide könne man schließlich überall anpflanzen, das Rosental müsse für exklusive Gemüsesorten frei bleiben. Aber sie unternimmt nichts, den Rosenbauern zu helfen, und muß so wohl oder übel die arbeitslosen Ingenieure, Schlosser und Schneidermeister gewähren lassen. Die lokale Tageszeitung von Karlovo in bissigem Humor: „Wer in diesem Winter noch nicht erfroren ist, dem wird es im nächsten leid tun. Oder doch nicht? Im Rosental warten die Millionäre, deren Tulpen und Rosen doch den Weltmarkt erobern werden.“
Die Selbstheilungskräfte des Rosentals berechtigt trotzdem zu Hoffnungen. Wenn im nächsten Jahr 80 Prozent aller Arbeitnehmer „unbezahlten Urlaub“ erhalten, bleibt der Regierung nämlich nur noch eine Parole: Werdet Bauern im Rosental.
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