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Büttenreden am Aschermittwoch

■ Strauß zu Verzicht auf Innenministerium bereit / SPD ruft zur Aufmüpfigkeit auf / FDP für Null–Lösung bei Abrüstung / Grüne unter Beschuß / Von Strauß mit Nazis verglichen / Gegenseitige Beschimpfungen

Passau/Vilshofen (ap) - Einen Tag vor Beginn der Schlußrunde der Bonner Koalitionsverhandlungen hat CSU–Chef Franz Josef Strauß mit einem Verzicht seiner Partei auf die Besetzung des Bundesinnenministeriums gedroht für den Fall, daß die von ihm seit langem geforderten Verschärfungen des Demonstrationsstrafrechts weiter an der Blockade der FDP scheitern. In seiner dreistündigen traditionellen Rede zum politischen Aschermittwoch sagte Strauß vor etwa 7.500 Zuhörern in der Passauer Nibelungenhalle, die Besetzung des Innenministeriums durch die CSU sei abhängig von den Wirkungsmöglichkeiten von Minister Zimmermann. Zur jüngsten Abrüstungsinitative Gorbatschows sagte Strauß, die „Gretchenfrage“ an den sowjetischen Parteichef sei, ob er bereit sei, die bisherigen strategischen Zielsetzungen Moskaus - von der Weltrevolutionierung bis zur militärischen Expansion und politischen Indoktrination - aufzugeben. Besonders hart ging Strauß mit den Grünen ins Gericht. Er sprach von „pubertären Gehirnen, die sich in den Sandkasten der Politik begeben haben“. Auch die Nationalsozialisten hätten seinerzeit manche vernünftige Forderung erhoben. Als Hitler dann an der Macht gewesen sei, habe er von ihr einen Gebrauch gemacht, den 99 Prozent seiner Wähler nie gebilligt hätten. Der bayerische SPD–Vorsitzende Rudolf Schöfberger hat bei seiner ersten Aschermittwochsrede in Vilshofen CSU–Chef Franz Josef Strauß und andere führende CSU–Politiker scharf attackiert. Die Bürger forderte er zur „Aufmüpfigkeit“ auf. Strauß sei ein „Waffenhändler“, meinte Schöfberger. Den Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Edmund Stoiber, nannte er einen „spitznasigen Zwiederwurz“, der mit seiner Medienpolitik zum „Gebrechlichkeitspfleger von zehn Millionen mündiger Bayern bestellt wurde“. Minister Zimmermann regiere, wie er schwöre und sei nicht immer im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Die gegenwärtigen Agrarsubventionen, die im Betrag längst die Einnahmen aller europäischen Bauern überstiegen, verurteilte er als „größten und kostspieligsten Wahnsinn“ neben dem Atom– und Rüstungswahn. Der FDP–Vorsitzende Martin Bangemann hat die NATO–Partner vor dem Hintergrund der jüngsten sowjetischen Vorschläge davor gewarnt, neue Bedingungen in die Abrüstungsverhandlungen einzubringen. Die Null–Lösung sei für die FDP eine „akzeptable Lösung zur totalen Abrüstung“, sagte Bangemann beim traditionellen politischen Aschermittwoch seiner Partei. Die Verantwortlichen müßten sich jetzt fragen lassen, ob sie die Null–Lösung nur so lange befürwortet hätten, wie sich keine Zustimmung der Sowjetunion abgezeichnet habe. Die Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth, hat sich erneut nachdrücklich für einen Boykott der Volkszählung ausgesprochen. Am Rande eines „Bauernnachmittags“ ihrer Partei in Vilshofen sagte Frau Ditfurth, in der Frage der „offenen Verweigerung“ gebe es innerhalb der Partei einen flügelübergreifenden Konsens. K O M M E N T A R E

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