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Bürgerrechtlicher Blick zurück nach vorn

■ Die Zukunftsideen von Bohley und Neubert sind noch stark vom Jahr 1989 geprägt

Es scheint, als ob Titel und Buch nicht recht zusammenpassen wollen. Bei der Lektüre drängt sich die Vergangenheit derart übermächtig auf, daß es wohl eher heißen müßte: Wir mischten uns ein.

Bärbel Bohley und Ehrhart Neubert verstehen dieses Buch vor allem auch als eine Art Report der geleisteten Arbeit: Was definierte Bürgerbewegung, welche politische und gesellschaftliche Relevanz verkörperte sie, und gibt es eine Botschaft von und über das Jahr 1989 hinaus? Selbstverständlich prägte beide Autoren ihr politisches Engagement vor und während der Wende. Die Malerin Bärbel Bohley und der Pfarrer Ehrhart Neubert gehörten seit Beginn der 80er Jahre verschiedenen oppositionellen Gruppen der DDR an. Die starke Gewichtung der Ereignisse bis zur Vereinigung entspricht zwar dem leidenschaftlichen Engagement von Bohley und Neubert, aber nicht dem Titel. Zu Beginn fällt die Theatralik auf, mit der der Bürgerrechtler als ein von aller Welt mißverstandenes und von den Medien benutztes Wesen erscheint. Und – den typischen Bürgerrechtler gebe es nicht, sondern Verschiedenartigkeit.

Viele prominente Vertreter der DDR-Opposition wie Jens Reich, Günter Nooke und Wolfgang Templin kommen zu Wort, um das Verbindende und Trennende zu diskutieren. Manche Kapitel sind ganz der Oppositionsentwicklung in der DDR geschuldet, andere, obwohl sich mit einem aktuellen Thema beschäftigend, greifen in längeren Passagen wieder auf das Jahr 1989 zurück. Dadurch verliert sich beim Lesen der rote Faden, der Leitgedanke, das Gerüst, an dem sich die Autoren argumentativ entlangbewegen. Dem Buch fehlt Struktur. Dieser Mangel tritt am deutlichsten im plötzlichen Wechsel vom Thema „Bürgerbüro e.V. zum Bürgerkrieg in Jugoslawien“ wieder zurück zum Ein- bzw. Übertritt von Bürgerrechtlern in die CDU zutage. Auch stilistisch ist das Buch nicht ganz geglückt. Es ist wohl angesichts der Kriegssituation unangemessen, wenn Bärbel Bohley auf die Frage, warum sie nach Jugoslawien gehe, antwortet, sie sei „sehr froh“, daß es nun nicht mehr nur die DDR mit ihren Problemen gebe. Dagegen heben sich die Zitate von Jens Reich und Günter Nooke sprachlich und analytisch angenehm ab und werden damit dem Untertitel „Ideen für eine gemeinsame Zukunft“ gerecht. So wird das Buch eigentlich erst auf den letzten Seiten wirklich interessant und tritt aus der manchmal etwas wahllos erscheinenden Aneinanderreihung des Geleisteten heraus. Nooke geht der „Ambivalenz und Notwendigkeit der Nation“ nach. Er beteiligt sich damit an einer aktuellen, im europäisch-integrativen und deutschen Kontext geführten Diskussion und beleuchtet die Tabuisierung einer deutschen Identität. Dieser Begriff sei endlich mit positivem Inhalt zu füllen. Nooke knüpft an eine seit Jahren in der alten Bundesrepublik geführte Debatte um nationale Ersatzlösungen an: Die Deutschen richten ihr Selbstwertgefühl an der Ökonomie und sozialen Leistungsfähigkeit ihres Staates aus. Bis heute ist die Akzeptanz der Demokratie an den wirtschaftlichen Aufstieg gebunden. Dieses Phänomen wiederholt sich im deutsch-deutschen Einigungsprozeß. Dessen Gelingen wird fast bedingungslos an Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg gemessen. In dem Buch von Bohley und Neubert heißt es: Die Bürgerbewegung ist tot. Auch wenn sie in der aktuellen Politik als Gruppe kaum noch Bedeutung haben, die Bürgerrechtler bringen die Erfahrung politischen Widerstands in einer Diktatur ein. Es wäre falsch, das als nostalgische Ausrichtung auf Vergangenes zu diffamieren. Liane Türke

Bärbel Bohley, Ehrhart Neubert: „Wir mischen uns ein. Ideen für eine gemeinsame Zukunft“. Herder, Freibg. 1998; 180S., 17,80 DM

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