piwik no script img

Bündnis gegen den Islamismus

■ Der designierte türkische Ministerpräsident Yilmaz stellt Kabinett und Koalitionsvertrag vor: Alles gegen Erbakan

Istanbul (taz) – Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel hat die Kabinettsliste der neuen Regierung von Ministerpräsident Mesut Yilmaz bestätigt. Yilmaz, Chef der bürgerlichen Mutterlandspartei, wird eine Koalitionsregierung unter Beteiligung der linksnationalen Partei der Demokratischen Linken (DSP) und der liberalkonservativen Partei der Demokratischen Türkei (DTP) führen. Beide Parteien sind nicht nur mit Ministern in der Regierung vertreten, sondern stellen auch je einen stellvertretenden Ministerpräsidenten. Expremier Bülent Ecevit von der DSP und Ismet Sezgin von der DTP sind stellvertretende Ministerpräsidenten. Außenminister wird Ismail Cem von der DSP.

Auf einer Pressekonferenz stellten die Koalitionspartner gestern das Koalitionsprotokoll vor. Es sei Aufgabe der Regierung, „die System- und Staatskrise“ zu überwinden, die die Vorgängerregierung unter Islamistenchef Necmettin Erbakan hinterlassen habe. Der „laizistisch-demokratische Staat“ sei zu stärken und die „Integration der Türkei mit der zivilisierten Welt“ voranzutreiben.

„Diese Regierung stützt sich auf zivile, demokratische, freiheitliche Werte“, sagte Yilmaz auf der Pressekonferenz. Er sei froh darüber, daß das Land im „Rahmen der Demokratie und des Parlamentes“ mit dieser Regierung eine zivile Lösung gefunden habe.

Vieles im Koalitionsprotokoll bestätigt, daß die Koalitionsregierung sich als Front gegen die islamistische Wohlfahrtspartei zusammengefunden hat. Im Erziehungswesen müßten die Prinzipien des säkularen Republikgründers Atatürk Anwendung finden. Der religiöse Unterricht solle staatlich kontrolliert werden, die Grundschulpflicht wird auf acht Jahre erhöht. Das bringt die Schließung zahlreicher religiöser Mittelschulen mit sich – einer der Hauptkonflikte zwischen dem Militär und der Regierung Erbakan. Das Erziehungsministerium erhält die DSP, die eine harte Linie in der Zurückdrängung der Islamisten im Erziehungsbereich einnimmt.

Die Ankündigung im Koalitionsprotokoll, den bislang umfassenden Immunitätsschutz für Abgeordnete zu lockern, geht an die Adresse der Wohlfahrtspartei. Gegen mehrere Abgeordnete des radikalen Flügels der Partei sind Strafprozesse anhängig, die aufgrund der parlamentarischen Immunität nicht durchgeführt werden können.

Es gilt als sicher, daß der Regierung Yilmaz das Vertrauen ausgesprochen wird, wenn das Parlament voraussichtlich am 12. Juli darüber abstimmt. Einziger Risikofaktor: Die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei unter Deniz Baykal hat der Regierung zwar die Unterstützung beim Vertrauensvotum zugesagt, doch Baykal fordert Neuwahlen zum baldmöglichsten Termin. Über den Wahltermin aber schwieg sich Yilmaz gestern aus.

Unterdessen geht der Zersetzungsprozeß von Tansu Çillers Partei des Rechten Weges (DYP) weiter. Nachdem klar ist, daß Çiller nicht mehr an der Macht beteiligt ist, treten täglich weitere Abgeordnete aus der Partei aus und suchen in der Mutterlandspartei oder der DTP eine neue politische Heimat. Selbst Çillers ehemaliger Koalitionspartner Erbakan macht sich darüber lustig: „Ich habe noch nie eine Partei gesehen, die sich so schnell auflöst“, sagte er. Kommentar Seite 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen