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Bündnis-„Heck-Meck“ in Thüringen

■ Noch ist offen, wer in Thüringen mit den Grünen zur Bundestagswahl fusioniert/ „Amoklauf“ des Neuen Forums/ CDU und FDP schleichen heimlich aufeinander zu

Erfurt (taz) — „Der Landeswahlleiter hat uns erst am Donnerstag das Wahlgesetz für die Bundestagswahlen ausgehändigt“, beklagt sich die Geschäftsführerin des Landesverbandes der Grünen in Thüringen, Anke Walter. Das rieche nach „absichtlicher Verzögerung“ — doch Beweise für diesen Vorwurf an die „rabenschwarze Administration“ können die Grünen nicht vorlegen. Fest steht jedenfalls, daß die Partei, die heute in Erfurt ihre Liste für die Bundestagswahl im Dezember aufstellen wollte, ins Schleudern gekommen ist. Walter: „Wir müssen jetzt all die Gruppierungen und Bewegungen zusammentrommeln, die als Bündnispartner für uns in Frage kommen, damit wir bis zum 23. Oktober eine gemeinsame Liste präsentieren können.“ Und dazu blieben den Grünen in Thüringen gestern nur noch 24 Stunden Zeit — „ein unglaublicher Heck-Meck“ (Walter).

Grundsätzlich haben zwar die Bürgerbewegungen, die bereits bei den Landtagswahlen mit den Grünen zusammen auf einer gemeinsamen Liste kandidierten (Neues Forum/ Demokratie Jetzt), ihre Bereitschaft zur erneuten gemeinsamen Listenbildung signalisiert, doch die Grünen streben — in memoriam an den Ausgang der Landtagswahlen — ein noch breiteres Bündnis an. In Berlin verhandelten deshalb gestern abend die Bundesvorstände der Bürgerbewegungen abschließend die Breite der Vereinigung, doch mehr als empfehlenden Charakter wird der gegen Mitternacht erwartete Beschluß in der designierten Hauptstadt für die Landesverbände nicht haben.

Das Neue Forum in Thüringen sperrt sich nach wie vor gegen ein Bündnis mit dem Unabhängigen Frauenverband (UFV). Und wenn es dabei bleiben sollte, daß etwa im Stadtstaat Berlin die Vereinigte Linke (VL) in das Bündnis integriert ist, wird das Bündnis in Thüringen auf das Neue Forum verzichten müssen — so jedenfalls der Stand der Dinge am Freitag. Wolfram Ziegenhorn, Wahlkampfkoordinator von Demokratie Jetzt (DJ), sprach denn auch gestern von einem „Amoklauf“ des Neuen Forums: „Es scheint, daß die aus den Landtagswahlen nichts gelernt haben.“

Die Sieger der Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag haben dagegen schnell gelernt, daß Koalitionsverhandlungen am besten hinter verschlossenen Türen geführt werden. Heimlich schleichen CDU und FDP in Erfurt aufeinander zu. Der zukünftige Ministerpräsident Josef Duchac (CDU) will sein Kabinett mit acht Ministern bestücken, doch die Ressortaufteilung zwischen den Parteien sei bislang bei den Verhandlungen noch kein Thema gewesen. „Drängende Sachfragen“ hätten im Mittelpunkt der „in außerordentlich gutem Klima“ stattfindenden Gespräche über die Regierungsbildung gestanden, verlautbarte aus CDU- Kreisen. Querschläger kamen dagegen aus Weimar: Obgleich die Hauptstadtfrage in Thüringen eigentlich entschieden ist, da der Landtagsvorbereitungsausschuß für Erfurt votiert hatte, witterte der Bürgermeister der Goethe/Schiller- Stadt an der Ilm nach den Landtagswahlen Morgenluft. Die Hauptstadtfrage habe allein der neue Landtag zu entscheiden. Und der konstituiert sich am 25. Oktober ausgerechnet im Weimarer Nationaltheater.

Im Vorfeld der konstituierenden Sitzung hat sich inzwischen auch die Fraktion der Listenverbindung Neues Forum/ Grüne/ Demokratie Jetzt zusammengerauft. Fraktionsvorsitzende wurde die Ex- Volkskammerabgeordnete Christine Grabe. Für das Amt des Landtagspräsidenten wird der designierte Alterspräsident des Landtages, der Spitzenkandidat der Liste, Siegfried Geißler, kandidieren. Klaus-Peter Klingelschmitt

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