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Bündnis 90 liebäugelt mit SPD-Liste

■ Nach Treffen mit Lafontaine ist in der Bündnis-90-Fraktion die Debatte um SPD-Listenplätze voll entbrannt / Konrad Weiß sieht Mehrheit für das SPD-Ticket / Entscheidung der Fraktion steht aus

Von Matthias Geis

Der Besuch von Oskar Lafontaine in Berlin hat bei den Abgeordneten der Bürgerbewegungen einiges ins Rollen gebracht. Zwar wird das Angebot der Sozialdemokraten, dem oppositionellen Bündnis Listenplätze für den Einzug ins zukünftige Parlament abzutreten, bereits seit längerem hinter den Kulissen diskutiert. Doch erst seit dem Treffen zwischen dem Kanzlerkandidaten der SPD und Mitgliedern der Bündnis 90 / Grüne-Fraktion in der Volkskammer lassen einzelne Vertreter aus den Bürgerbewegungen durchblicken, daß sie sich den Einzug ins erste gesamtdeutsche Parlament auf dem SPD-Ticket durchaus vorstellen können.

Während die Fraktion unmittelbar nach dem Treffen eine Sondersitzung zum Thema Listenplätze einberief, gab sich Oskar Lafontaine gelassen: Es habe sich lediglich um ein Informationsgespräch gehandelt. Auf der Fraktionssitzung konnte keine einheitliche Haltung bei der Listenfrage hergestellt werden. Endgültige Entscheidungen könnten ohnehin erst auf der Basis eines konkreten Angebots gefaßt werden, so die derzeitige Sprachregelung.

Am weitesten scheint die Entscheidungsfindung bei Konrad Weiß, Mitbegründer von Demokratie Jetzt, gediehen. Während die meisten seiner Bündniskollegen den Vorgang am liebsten noch eine Weile unter Ausschluß der Öffentlichkeit diskutiert hätte, spricht er bereits hoffnungsvoll von einer Fraktionsmehrheit für das SPD-Angebot. Nach den zähen Verhandlungen um ein breites Bündnis aus Bürgerbewegungen und Grünen, sieht Weiß in den SPD-Listenplätzen mittlerweile „die einzige in der Kürze der Zeit noch realisierbare Chance“ für die Bürgerbewegungen, ins gesamtdeutsche Parlament einzuziehen.

Zweifellos ist nicht die Attraktivität der DDR -Sozialdemokratie, sondern die Frustration vieler Abgeordneter über das Grüppchengezänk an der Basis der entscheidende Grund für das Liebäugeln mit einem SPD -Listenplatz. Ein einheitliches Bündnis der Bürgerbewegungen, das unter dem gesamtdeutschen Dach der Grünen eine realistische Chance für den Einzug ins Parlament bedeutet hätte, ist faktisch gescheitert.

Das Neue Forum, immer noch die mitgliederstärkste Bürgerbewegung, ist politisch zu heterogen, um zu einer klaren Entscheidung in der Bündnisfrage zu kommen. Profilierungssucht nach dem Motto „Wir sind das größte Forum“ sowie endlose Debatten um Sinn und Zweck parlamentarischer Arbeit führten auf dem letzten landesweiten Treffen zur einfachsten Lösung: Die Landesverbände sollen eigenständig entscheiden. Die Organisation in Sachsen hat schon abgewunken.

Fraktionssprecher Werner Schulz hat zwar für sich noch nicht klar entschieden, ob er auf dem SPD-Ticket ins Parlament einziehen möchte; doch bei der Frage, wer jetzt noch den Bündnisprozeß der Bewegungen anschieben könnte, hebt er hilflos die Arme. Sein Urteil: „Das wäre nur eine Mißgeburt, die da am Ende rauskommen würde.“ An der Basis seien die „sektiererischen Strömungen zu stark. Und Wahlkampf sei „mit einer Gruppe von oben einfach nicht zu machen“.

So könnte die SPD am Ende vom Gruppenstreit profitieren und ihre äußerst dünne Personaldecke kompensieren. Zwar findet sich kein Bündnisabgeordneter, der die Politik der DDR-SPD gutheißen wollte; doch ist immer wieder das Argument der gemeinsamen Oppositionsgeschichte und die engen personellen Kontakte zur SPD zu hören, die das Angebot attraktiv erscheinen lassen.

Wenn sich am Ende die profiliertesten Vertreter der DDR -Opposition, Weiß, Birthler, Ullmann oder Reich, für die SPD -Liste entscheiden sollten, ist das vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung für die SPD mehr als unverdient. Seit Anfang des Jahres hat die SPD kaum eine Chance ausgelassen, den Bürgerbewegungen zu schaden. Sie kündigte im Januar das gemeinsame Wahlbündnis und wollte mit einem Antrag am Runden Tisch die Bürgerbewegungen aus der Volkskammer fernhalten. Auch in der Debatte um die Wahlmodalitäten zum gesamtdeutschen Parlament besteht sie auf Fünfprozenthürde und einheitlichem Wahlgebiet, beides Bedingungen, die die Chancen der Büprgerbewegung mindern. Jetzt, so die Bündnisabgeordnete Birthler, will die SPD was gegen ihr schlechtes Gewissen tun und gleichzeitig von der personellen Auffrischung profitieren.

Kommentar und Interview Seite 10

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