Prêt-à-porter: Buckel oder Nichtbuckel?
■ Das ist hier die Frage: Chloé, Kawakubo, Comme des Garçons
Daß es bei der Schau von Chloé nur einen Unfall gab, war fast ein Wunder. Die Models wanderten auf unwahrscheinlich hohen Absätzen um künstliche Blumenrabatten, von einer Kante eingefaßt. Ein Mädchen stieß gegen eine der Kanten, stolperte und knickte um. Nach wenigen Metern knickte sie wieder um. Verlegen lächelnd schüttelte sie ein wenig ihren Fuß aus und ging weiter. Aber sie konnte den Fuß nicht mehr gerade aufsetzen, und bei den Absätzen war es unmöglich, das Gewicht zu verlagern. Zwei Schritte, und sie knickte noch einmal um. Beim vierten Mal fiel sie auf Hände und Knie. Sie hatte etwa zwei Drittel der Strecke zu den Fotografen hin zurückgelegt. Unauffälliger Rückzug war unmöglich. Während sie sich aufrappelte, gingen rechts und links an ihr andere Models vorbei. Die Musik zwang sie zu einem ziemlich flotten Tempo. Sie ignorierten die Gestürzte nicht, aber sie wußten nicht, was sie tun sollten. Das Mädchen bewegte sich jetzt langsam zurück. Sie stürzte zum zweitenmal – und diesmal fiel sie flach auf den Bauch. Sekundenlang blieb sie völlig reglos liegen. Dann stand sie langsam auf. Qualvoll humpelnd schaffte sie es zurück. Sie hat sich nicht die vermaledeiten Schuhe ausgezogen. Und sie hat nicht einmal aufgehört zu lächeln.
Der Showroom von Comme des Garçons ist einen Tag nach Vorführung der Kollektion gerammelt voll. An jedem Tisch sitzen Kunden, blättern im Katalog und verlangen diesen Artikel zu sehen oder jenen. Ein Hausmodel, bekleidet mit einem schwarzen Body, führt dann das entsprechende Kleid vor.
Diejenigen, die gerade nicht vorführen, sitzen auf einer kleinen Treppe am Ende des schlauchförmigen Raumes und warten. Das Personal von Comme des Garçons besteht fast nur aus Frauen. Von den zwei Männern, die dazugehören, serviert einer die Getränke. Ich setze mich hin und sehe mir das Video an.
Klassisch. Ein graues Schlauchkleid aus dehnbarem Material, das sich in Falten den Körper hochschiebt. Dann dreht sich das Model um. Sie hat einen Buckel!
Sie hat keinen Buckel. Was da auf ihrem Rücken sitzt, sind drei Daunenkissen, jedes etwa so groß wie zwei Fäuste und genauso uneben – wie eine unförmige Geschwulst. Dem nächsten Modell scheint unter dem Kleid eine riesige Python auf der rechten Hüfte zu sitzen. Die dritte ist kaum mehr als menschliches Wesen zu erkennen: Eine riesige Verwachsung erhebt sich über dem Brustbein und reicht ihr bis unter das Kinn ... Eine gespenstische Riege monströs Deformierter zieht an mir vorüber. Mit rotgeschminkten Augen. Bei einem Model liegt das Kleid oben eng an, unterhalb des Zwerchfells schimmert ein weißes, halbmondförmig gebogenes Etwas durch den roten Stoff. Es sieht aus, als sei sie mit einer riesigen weißen Made schwanger. In diesem Augenblick ruft passenderweise eine Einkäuferin laut: „Wundervoll, das ist wirklich Kunst!“ Kann sein. Glaub' ich nicht.
Rei Kawakubo nimmt den weiblichen Körper auseinander wie Picasso die Gesichter seiner „Desmoiselles d'Avignon“. Dann schiebt sie die Teile hierhin und dorthin und setzt sie wieder zusammen. Danach ist nichts mehr an seinem Platz.
Aber dann: Eins der Hausmodels führt ein blaues Kleid vor. Unter der Brust ist ein Stoffschlauch angebracht, den sie um den Nacken legt. Der Schlauch fällt lose auf die Brust wie ein weich gefalteter Kragen. Da war auch mal ein Polster drin. Die Dinger sind herausnehmbar! Und dann sehen die Kleider aus wie zu Audrey Hepburns besten Zeiten. Würde irgend jemand die „Desmoiselles d'Avignon“ zerschneiden, um sie „richtig“ wieder zusammenzusetzen? Anja Seeliger
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