: Buchtipp
Wohltuend echt
Reisen kann so schön sein. Aber manchmal auch verdammt nervig. Vor allem dann, wenn die Vorbereitungen des Homo urlaubiensis zu dünn und seine Erwartungen zu übertrieben sind. „Wer reist, kann sich täuschen – vor allem in sich selbst.“ Um diese (Ent-)Täuschungen möglichst klein zu halten, erzählt Reiner Leinen in 25 kurzen Geschichten von den Hürden vor dem Reiseglück. Mal fürsorglich, mal augenzwinkernd, dann wieder ironisch, oft herrlich bissig. Und stets flott geschrieben. Viele dieser Miniaturen in Sachen prophylaktischer Reisehilfe sind bereits im Magazin der Frankfurter Rundschau erschienen – und jetzt zusammengefasst als Buch erschienen. Reiner Leinen schaut hinter die Fassade wohl klingender Orte und touristischer Attraktionen. Zum Beispiel in Verona, auf der Fährte von „Romeo und Julia“, wo Horden den Innenhof der Julia bevölkern. Das sei „nichts für Klaustrophobiker“, eher für „am Wühltisch im Schlussverkauf“ Gestählte. Von amour fou keine Spur. Oder das mondäne St. Tropez, wo der Urlaubsnormalo auf Schritt und Tritt merkt, „Armut kann so scheiße sein“, und der Blasenschwache „einen veritablen Harnverschluss mit nach Hause“ nimmt. „Denn nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine solche Dichte an Verbotsschildern gleicher Diktion: Défense d’uriner“.
Aber Leinen öffnet auch die Augen für das Grauen hierzulande. Da entpuppt sich die Lüneburger Heide als „eine ziemlich heidefreie Zone“ mit weitläufigen Manövergebieten und einem richtigen Panzermuseum. Oder Warner Brothers Movie World, dieser schaurige Freizeitpark „inmitten der Kartoffelfelder und Spargelhügel von Bottrop-Kirchhellen“, als „der Versuch von Hollywood in Germany. Entertaiment at its worst“. Oder das Bordbistro der Deutschen Bahn („Trinken auf Rädern“), das den ausrangierten Speisewagen abgelöst hat, als „Heimat der Gescheiterten“ – in der Tradition der miefigen Bahnhofskneipe. Auszuteilen kann so wohl tuend sein. Leinen sei Dank. Geschönte Reiseberichte gibt es bekanntlich im Dutzend billiger.
GÜNTER ERMLICH
Reiner Leinen: „Fahren Sie bloß nicht nach …“. Books on Demand, Norderstedt 2005, 116 Seiten, 9,90 €