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Brüche des Lebens

■ Ulrich Pelzer stellt morgen sein neues Buch Bryant Park vor

Sinnliches Erleben einzelner Situationen schildert der Berliner Schriftsteller Ulrich Pelzer ungemein präzise. Beim Lesen entstehen derart klare Bilder im Kopf, dass man sich bereitwillig von wild strudelnden Assoziationen mitreißen lässt. Durch die Intensität der Momentaufnahmen liefert der definitiv nicht geschwätzige Pelzer gerade so viele Anhaltspunkte, wie die LeserInnen brauchen, um die Leerstellen mit Eigenem zu füllen.

Sein neuer Roman Bryant Park macht einen Einstieg nicht leicht, doch bald hat man sich an das ständige Springen zwischen drei verschiedenen Erzählsträngen gewöhnt. Der Rhythmus, in dem hier die Ebenen wechseln, ist noch um einiges unruhiger als in Pelzers früheren Romanen. Und die Persönlichkeit des Ich-Erzählers zeichnet er um einiges konturloser als die des Protagonisten in Alle oder Keiner (1999). Dort waren individuelle und politische Entwicklung eines ehemals linksradikalen Enddreißigers nachzuvollziehen, der sich weigert, auf der Oberfläche der Neuen Mitte Berlins mitzuschwimmen – anhand kaleido-skopartig dargebotener Erinnerungsfetzen.

In Bryant Park stellen die unterschiedlichen, miteinander verwobenen Erzählstänge drei Lebensabschnitte derselben Person vor. Einmal begleitet der erzählende Stefan das Sterben seines Vaters; das bescheidene Erbe verführt ihn – dies der zweite Strang – fast dazu, in Italien einen zweifelhaften Deal abzuschließen. Und später hat er mit Drogenfreaks nichts mehr zu tun, in New York sammelt er als fleißiger Stipendiat Eindrücke der Stadt. Dass seit dem 11. September die Welt, oder doch zumindest New York, nicht mehr so ist wie zuvor, kann man schon fast nicht mehr hören. Doch kann ein Autor eine Geschichte, die in der Stadt der ein-gestürzten World-Trade-Center spielt, unbefangen zu Ende schreiben? Ulrich Pelzer schiebt hier einen ganz unprätentiös geschriebenen Textteil ein, in dem er den Einbruch des Flugzeuganschlags auf seinen (Schreib-)Alltag protokolliert. In diesem souveränen Umgang zeigt sich einmal mehr seine literarische Kompetenz.

Ariane Dandorfer

Lesung morgen, 20 Uhr, Literaturhaus

Ulrich Pelzer, Bryant Park, Ammann Verlag 2002, 158 S., 19,90 Euro

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