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Britanniens Wechselwähler heiß umworben

■ Medienwahlkampf in England / Mit „Power to the People“ will Frau Thatcher den Sozialismus ausrotten / Labour verspricht Arbeit und die Allianz befindet sich wieder einmal auf dem goldenen Mittelweg / Die Tories puschen 14 Millionen Pfund in den Wahlkampf

Aus London Rolf Paasch

Schon morgens um 8 Uhr beim „Breakfast TV“ gehts los. Frisch frisierte Politikervisagen lächeln den Briten über ihren Frühstückstisch zu: „Großbritannien wird gewinnen“, verspricht die Labour–Partei im Falle ihres Wahlsieges. Die sozialliberale Allianz will das gespaltene Land in ein „wiedervereinigtes Großbritannien“ zurückverwandeln. Und Frau Thatchers Konservative beschreiben souverän ihre „nächsten Schritte vorwärts“. Auf der allmorgendlichen Pressekonferenz in den jeweiligen Parteihauptquartieren werden den Redakteuren und Reportern, den Trägern des Election–Virus, die Hochglanzbroschüren dann im Detail vorgestellt. Labourführer Neil Kinnock, der vor der feindlichen Londoner Tory–Presse in die Provinz geflüchtet ist, will binnen zwei Jahren eine Million Arbeitslose von der Straße holen und sechs Mrd. Pfund (18 Mrd. DM) umverteilen. Die Tories wollen weiter privatisieren, zunächst das Wasser und dann den Strom. Und die Allianz will wie immer den goldenen Mittelweg: ein bißchen privatisieren, um ein bißchen umverteilen zu können, und dann die magische Zahl von einer Million Arbeitsplätzen in drei Jahren schaffen zu können. Wer die Wahlprogramme sieht, den Quelle–Katalog von Labour, die American–Express–Broschüre der Tories und die Volkshochschul– Schrift der Allianz, der muß erkennen, daß Großbritannien nicht mehr wie traditionell aus dem Bauch der Klassengesellschaft wählt, sondern vom Regal des Warenhauses. Gegen 11 Uhr springen die Parteivertreter in ihren Privatjet oder wie Frau Thatcher in ihren kugelsicheren Luxusbus. Im Rent–a– mob–Verfahren haben die Parteiaktivisten draußen in der Provinz Empfangskomitees und eine wäh lerwirksame Sightseeing–Tour organisiert. SDP–Chef David Owen fährt ins Bergwerk ein, Kollege David Steel von den Liberalen besucht einen Kindergarten. Ob gerade in Wales, Schottland oder im Süden, die Phototermine für die 1–Uhr–Nachrichten müssen rechtzeitig absolviert werden. Die Buhlerei um die Stimmen der noch unentschiedenen Wechselwähler (angeblich rund 30 Prozent) ist für Fernsehanstalten und Werbeagenturen längst zum Wettbewerb um Einschaltquoten und Kunden geworden. Staatliche und private Fernsehanstalten geben für die Inszenierung des televisionären Wahlspektakels über zehn Millionen Pfund aus. Und die Werbeagenturen bekommen von den Trägern der politischen Willensbildung rund 20 Millionen Pfund (60 Millionen DM) überwiesen. Den Vogel schießen dabei mit angeblich 14 Millionen Pfund die Tories ab, finanziert von einer Heerschar kapitalistischer Gönner, die bis zu 300.000 DM in den Wahlkampffonds der Eisernen Lady spenden. Die Brauerei– und Tabakindustrie hat den Tories gar ihre Plakatwände zur Verfügung gestellt. „Power to the People“, so erfährt das verdutzte Volk in den Abendnachrichten aus dem Munde Frau Thatchers, so laute der Slogan für eine rosige Zukunft auf der Insel. Noch mehr Hausbesitzer, Volksaktionäre, noch mehr Macht den Eltern gegen die Tyrannei staatlicher Schulbehörden. Alle Macht dem Besitzbürgertum.

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