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Bremer Idylle

■ Ein Buch mit Fotographien aus der guten alten Zeit des Bremer Bürgertums

Das Sielwalleck: Ein Lederwarengeschäft, ein Schlachter, Passanten stehen beim Schwatz beieinander. Autoschlangen? Junkies? Dealer? Fehlanzeige. Das Sielwalleck, eine bürgerliche Idylle.

Oder: Der Bahnhofsvorplatz, im Hintergrund das große Museum. Wo ist der Busbahnhof, wo sind die Bratwurstbuden, der unsäglich häßliche Pavillon des Verkehrsvereins? Stattdessen blicken wir über Rasen und Rabatten, Büsche und Bäume. Bißchen netter als die Pflanzkübel aus Waschbeton, die den Platz heutzutage zieren.

Fast melancholisch wird es ums Herz beim Durchblättern: Fotos aus einem längst vergangenen Bremen. Pünktlich zur Weihnachtszeit ist eine neue Bremensie in den Buchhandel gekommnen. Der Autor Herbert Schwarzwälder hat im Staatsarchiv gestöbert und einen reichen Privatschatz zusammengetragen – und so können wir staunen über die Bremer Bürgeridyllen vor den Kriegen. Und wir können uns gruseln über die Armeleuteviertel, die schäbigen heruntergekommenen Häuser des Schnoorviertels. Und wir können sie schuften sehen, die Männer am Kai der Schlachte, wie sie unter dem Sack gehen, wie sie die Segler und Dampfschiffe entladen. Bis zum Bau des Europahafens hatten dort, am Rande der Innenstadt, die Schiffe festgemacht. Mit der Weserregulierung war allerdings der Wasserspiegel gesunken, und nun mußten die schweren Lasten von Trägern mühsam treppauf geschleppt werden.

Es sind nicht nur die nackten Bilder, ,das Aha, so sah das also mal aus' – es sind die kleinen Geschichten hinter den Fotos, die das Buch so interessant machen. Kleine Gucklöcher in die Vergangenheit. „Ein verlorenes Stadtbild“ heißt das Buch im Untertitel, so unglücklich gefühlig, daß sich der Autor schon im allerersten Satz distanziert. Wann im Leben erwächst etwas neues ohne den Verlust? Und die Melancholie des Untertitels verliert sich spätestens beim Foto aus dem Februar 1919. Da stehen fünf Jüngelchen breitbeinig aber mit unsicheren Mienen auf dem Liebfrauenkirchhof. Man hat sie in Uniformen gesteckt, man hat ihnen ein Geschütz gegeben, man hat sie nach Bremen geschickt, der Räterepublik den Garaus zu machen.

Doch Schwarzwälder ist milde mit den Voyeuren in die Vergangenheit. Armut und Elend kommen eher selten vor, die BremerInnen sind auf den Fotos meist nicht mehr als lebendiges Beiwerk für die eigentlichen Objekte des Fotografen. Da steht 1893 der Roland im Mittelpunkt, der Gemüsemarkt ist eher lästiges Drumrum, doch wer genau hinsieht, der kann die abgearbeiteten Hände der Marktfrauen erahnen. Immerhin. J.G.

Herbert Schwarzwälder: Bremen – Ein verlorenes Stadtbild, 29,80 Mark

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