Buchkritik: Bremen ohne Zukunft
■ Referenten der Arbeitnehmer-Kammern fragen nach der Zukunft Bremens
Weil ihre inhaltliche Arbeit in der Selbstdarstellung der Angestellten- und der Arbeiterklammer nicht recht deutlich wird, haben deren Fachreferenten jetzt ihre Aufsätze als Buch herausgegeben: „Stadtstaat mit Zukunft?“ ist das brisante Thema. „Zu den Perspektiven der Freien Hansestadt Bremen“ haben zehn Kammer-Referenten ihre Beiträge zusammengetragen. Stadtstaat-Demokratie, Arbeitslosigkeit, Bremer Finanzen, regionale Kooperation, Konsequenzen des Nord-Süd-Gegensatzes für die Stadtentwicklung - die Kammern haben offenbar zu zentralen Fragen der bremischen Politik ihre Fachleute. Redaktionsschluß für den Band war Ende Januar, als weder das schnelle Ende der Ampel noch die Entscheidung der SPD für eine große Koalition absehbar waren. Dem Eindruck, daß der Band eigentlich fachkundiges Material für eine rotgrüne Perspektive zusammenträgt, mögen die AutorInnen nicht widersprechen. Vielleicht sei das ja in vier Jahren wieder aktuell, bemerkten sie bei der Vorstellung des Bandes.
Die geringe Auflage (1000 Stück) zeigt an, daß die Aufsatzsammlung sich nicht an das breite Publikum der Kammer-Mitglieder richtet, sondern an einen kleinen fachkundigen Kreis. Dem zeigt schon das Fragezeichen hinter „Stadtstaat mit Zukunft?“ an, daß der braintrust der Kammern da skeptisch ist. „Fast aussichtslos“, schreibt Angelina Sörgel („Bremer Finanzen - quo vadis?“), sei die Lage „im Lichte dieser Zahlen“. Die Auflösung Bremens als Bundesland ist „unwahrscheinlich“ nicht weil es eine erfolgversprechende Sanierungsstrategie gebe, schreibt Prof. Thomas Krämer-Badoni, sondern vor allem, weil die Verfassungshürden für eine Länderauflösung so hoch sind. Jochen Steffen berichtet über die Ratlosigkeit der Politik gegenüber wachsender Armut, Carsten Sieling und Andreas Bovenschulte über die mühsamen Versuche, Bremen und sein niedersächsisches Umland als Region zu denken. Die Autoren fordern diese regionale Einbindung, ohne die Bremen als Zentrum keine Chance hat, stellen aber gleichzeitig fest: „Aus sich selbst“ heraus werde die Region die erforderlichen Arbeitsplätze nicht schaffen können, sie liegt an der Peripherie. Im Streit um den begrenzten Kuchen aber scheiterten schon kleinste Projekte der regionalen Kooperation - das meiste, was da über „gemeinsame Landesplanung“ und „Neue Hanse Interregio“ verbreitet wird, sind reine Willensbekundungen.
Kein Wunder, daß in der fiktiven Rede der „Senatorin für ökologisches Wirtschaften“, mit der Jörg Muscheid (Angestelltenkammer) uns ins Jahr 2001 katapultiert, nichts, aber auch rein gar nichts von zurückliegenden Sanierungs-Jahren zu erkennen ist. „Wirtschaftspolitische Anstrengungen können das Beschäftigungsproblem nicht lösen“, jedenfalls nicht das bremische, resumiert Muscheids fiktive „Senatorin“, Konsumverzicht sei erforderlich, ebenso die drastische Verteuerung der knappen Ressourcen - auf deutsch: die Öko-Wende in Bonn und Brüssel.
Die Gewerkschaften müßten ihren Mitgliedern klarmachen, daß kein Weg am Teilen der knappen Arbeit (und zwar ohne Lohnausgleich) vorbeigeht, steht an anderer Stelle des Bandes. Ob die Leute dafür ihre Gewerkschaftsbeiträge zahlen?
Muscheids Zukunftsperspektive verliert sich in der „sozialökologischen Entwicklung als offener Prozeß“, die eine „Generationenaufgabe“ ist, zweifellos. Krämer-Badoni/Petrowsky erinnern an die „demokratietheoretische bzw. partizipative Dimension“ des Stadtstaat-Problems. „Ohne Einbezug der Opposition und die Mobilsierung“ gehe nichts, schreibt auch Angelina Sörgel.
Die SPD hat sich inzwischen für die große Koalition und damit gegen „partizipative“ und andere Experimente jeder Art entschieden. Vielleicht ist der Band in vier Jahren auch ein Nachschlagewerk, wenn die Frage aufgeworfen wird, warum die Alternative zur großen Koalition auch keine war. K.W.
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