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Bremen könnte 30 Mio. Sozialhilfe sparen

■ Werden WGs den „eheähnlichen“ gleichgestellt? Die Bonner „Reform“ in der Praxis

Müssen in Zukunft Wohngemeinschaften Namensschildchen auf die Margarine-Becher kleben, wenn sie einen Sozialhilfeempfänger in ihren Reihen haben und keine Kürzung der Sozialhilfe riskieren wollen? „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Gerd Westphal, Mitarbeiter der Sozialbehörde. Dennoch steht es so im Gesetzentwurf zur Reform der Sozialhilfe, die Bundesgesundheitsminister Seehofer gestern durch das Kabinett gebracht hat.

„Völlig unverhältnismäßig“, hat die Bremer Sozialbehörde Ende Juni gegen den Entwurf des Gesetzes polemisiert. Ein „erheblicher Aufwand“ komme auf die Sozialbehörde zu. Bei StudentInnen ist es üblich, aus „einem Topf“ zu wirtschaften - bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften ein Beweis für die gegenseitige Unterstützung. Und da die MitarbeiterInnen der Sozialbehörde „meistens zu zweit“ ihre Kontrollbesuche machen, könnte der Aufwand enorm werden. Zerstört werde die Motivation auch älterer Menschen, sich gegenseitig in einer Hausgemeinschaft zu helfen, kritisiert Ilona Markossa, Sozialreferentin des DPWV.

„Das ist nicht der Wille des Gesetzgebers“, widerspricht empört der Seehofer-Sprecher in Bonn. Mitglieder einer normalen Wohngemeinschaft müßten nur versichern, daß sie sich nicht gegenseitig unterstützen. In den Erläuterungen zum Gesetzentwurf steht in der Tat, „im Regelfall wird eine zweifelsfreie Versicherung ausreichen“ - nur reicht das nach gängiger Rechtsprechung bei den „eheähnlichen“ Wohngemeinschaften schon lange nicht. Ob in den Durchführungsbestimmungen dann wieder zwischen Wohngemeinschaften eheähnlichen Wohngemeinschaften unterschieden werden kann, ist völlig offen.

„Verwaltungsvereinfachung“, was der Bonner Minister offiziell als Grund seiner Neuregelung angibt, sehen die PraktikerInnen in der Bremer Sozialbehörde nicht auf sich zukommen. Nur eines ist dabei „eine tolle Sache“, findet Sozialamtsmitarbeiter Westphal: Die Beweislast wird umgekehrt. Bisher mußte das Sozialamt beweisen, daß ein Antragsteller in „Wirtschaftsgemeinschaft“ lebt, wenn es die Sozialhilfe kürzen wollte. In Zukunft müßten Antragssteller nachweisen, daß bis zum Margarinetopf alles getrennt benutzt wird, wenn sie den vollen Regelsatz erhalten wollen.

Einsparungen sollen die Kommunen durch die Seehofer-Reform vor allem dadurch haben, daß die Sozialhilfe-Regelsätze nicht mehr so stark steigen wie bisher (1995 in Bremen von 521 auf 526 Mark, also um knapp ein Prozent) und daß die Pflegeleistungen für Sozialhilfe-Empfänger nicht mehr ausgeweitet werden. Hinzu kommen Einschränkungen bei den Leistungen für Asylbewerber - das könnte für den Bremer Etat etwa 20-30 Millionen jährlich ausmachen.

Durch schärfere Sanktionen will Seehofer gleichzeitig die Vermittlungsquote von Sozialhilfeempfängern in Arbeit erhöhen, Sozialämter und Arbeitsämter sollen mehr kooperieren. In Bremen gibt es eine Kooperationsvereinbarung aber schon lange, jeder Sozialhilfeempfänger, dem Arbeit zuzumuten ist, muß sich regelmäßig beim Arbeitsamt melden. Auch die Sanktionen - Kürzungen der Sozialhilfe bei Weigerung - , die Seehofer zum Gesetz erheben will, werden in Bremen praktiziert.

Durch befristete Zuschüsse sollen Arbeitgeber motiviert werden, schwer vermittelbaren Sozialhilfeempfänger einstellen. Der DPWV fürchtet, daß das auf etwas abzielt, das nicht ausdrücklich auf dem Papier steht: untertarifliche Jobs für Langzeit-SozialhilfeempfängerInnen. K.W.W.

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