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Bremen grün-weiß und ganz schön blau

■ Hanseatische Ausgelassenheit nach dem Europapokalgewinn / Heimkehr im offenen Laster

Entzückende Szenen am Mittwoch abend auf dem Domshof: wildfremde Menschen fielen sich um den Hals, hüpften schreiend auf der Stelle und reckten die Arme in den Abendhimmel. Brüder und Schwestern in Jubel, 8.000 BremerInnen feierten den Gewinn des Europapokals in ungewohnter Ausgelassenheit. Hupkonzerte in der ganzen Stadt, Autokorso am Bahnhof, und bis in die frühen Morgenstunden zogen feiernde Fantrupps durch die Bremer Kneipenszene.

Marodeure gab es nur wenige. „Nö, war alles ganz friedlich“, lallte ein grün-weiß Geschminkter auf dem Nachhauseweg spät in der Nacht, um sich dann wieder bei seinen Kumpels unterzuhaken und mit „Berlin, Berlin, wir scheißen auf Berlin“ weiterzuwanken. Kurzzeitig blockierte Straßenkreuzungen, Flaschenwürfe auf Streifenwagen und umgekippte Klosetthäuschen (vgl. den Betroffenenbericht auf S.28), lediglich zwei Festnahmen — das war die Polizeibilanz einer rauschenden Fußballnacht.

Dem Bremer Domchor muß es schon mulmig zumute gewesen sein. Während die SängerInnen das Requiem zum Begräbnis des Dompredigers Abramzik übten, schrien wenige Meter weiter tausende Werder-Fans die Mannschaft im fernen Lissabon zum größten Sieg in der Vereinsgeschichte. Als der Schiedsrichter endlich abgepfiffen hatte, war es den jubelnden Volksmassen dann auch egal, daß sie sich für ein eher mäßiges Spiel drohendem Kreuzweh und Plattfüßen ausgesetzt hatte.

Gleich zweimal donnerte „We Are The Champions“ aus den Lautsprechern und alle, alle sangen mit. So manche Träne der Ergriffenheit wurde da zerquetscht, selbst die spärlich vertretene Politprominenz konnte sich der Wasseraugen nur schwer erwehren.

Mit großer Verspätung kamen die Balltreter gestern um 18.30 Uhr wieder nach Hause. Es wurde ein rauschender Empfang in Grün-Weiß. Weit über tausend Fans warteten am Flughafen auf die Landung der Mannschaft. Der Flug hatte sich um einige Stunden verzögert, weil es für den geplanten Ankunftstermin wegen des Streiks keine Landeerlaubnis gegeben hatte. Auf dem Rollfeld wartete ein offener Lastwagen, der die Europacup-Elf im Autokorso ins Parkhotel verfrachtete. Besonderen Jubel gab es um zwei: den Matchwinner Klaus Allofs (vom ZDF-Reporter zum Monaco-Klaus gemacht) und um Big Otto. Otto Rehhagel ist trotz der verpatzten Saison beliebter denn je. Alle Gurkenspiele im Weserstadion blieben unter „Otto-Otto“-Rufen vergeben und vergessen.

Den größten Lacherfolg erzielte allerdings Uli Borowka. Er hatte vor dem Spiel angekündigt, im Falle eines Bremer Sieges werde er sich eine Glatze schneiden lassen. So kam es dann auch. Noch in der Nacht wurde Borowka von seinem Mannschaftskollegen Dieter Eilts unter großem Gejohle der Mannschaft geschoren.

Auch auf dem Weg durch die Stadt wurde gebührend geklatscht. Doch die ganz große Fete war das noch nicht. Erst zum Saisonausklang am 16. Mai gegen den 1.FC Nürnberg soll es nach den Vorstellungen von Willi Lemke im Weserstadion eine „Riesenfete“ geben. Der Verein hat allen Grund zum Feiern. Finanziell geht es Werder so gut wie nie und der Geldregen hält noch an: mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger steht Werder als erste Mannschaft für das Supercup-Endspiel fest. Gegner wird dort Sampdoria Genua oder CF Barcelona sein. Willi Lemke: „Wieder eine Millionen-Einahme.“ J.G.

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