: Bremen-Tenever: Verhinderte Urbanität
■ Wie Tenever geplant war, wie es mißglückt ist und was verbessert werden soll
„Tenever wurde gebaut für unabhängige, bewegliche Menschen mit Auto, die ihre kulturellen, sozialen Freizeit-und Konsumbedürfnisse nicht am Wohnort befriedigen müssen“ — so heißt es in einer Broschüre des Stadtplanungsamtes. Generell wurde in den sechziger und siebziger Jahren für diesen Typus Mensch gebaut und planiert: für den beweglichen Menschen mit Auto. Daß autogerechtes Wohnen noch lange nicht zufrieden stellt, ist inzwischen auch bei den verantwortlichen Städteplanern angekommen; zumal in Gebieten wie Bremen-Tenever viele Menschen wohnen, die zwar beweglich sind, aber kein Auto haben: Kinder zum Beispiel. Tenever ist der kinderreichste Stadtteil in Bremen.
Familien, Arbeitslose, Asylanten — sie alle verbringen in den Betontürmen einen großen Teil ihrer freien Zeit. Denn das sonstige Angebot fehlt, und das ist eines der vielen Probleme Tenevers. Es gibt dort keine Bank und wenig kleine Läden, in denen man kurz ein Schwätzchen halten könnte. Alte Leute, die nicht mehr gut zu Fuß sind, werden diese Mängel schmerzlich empfinden — und alte Leute gibt es viele in Tenever, oder, wie es im Fachjargon heißt, Tenever hat einen hohen Vergreisungskoeffizienten.
Bremen-Tenever wurde Mitte der siebziger Jahre fertiggestellt. Die Leitung des Projektes lag in den Händen eines Nürnberger Städtebauinstitutes, das enge Beziehungen zum Bonner Bau-Ministerium pflegte. Das Konzept „Verdichtetes Bauen“ fanden damals Politiker wie Gewerkschafter gut; die „Neue Heimat“ hat den Gebäudekomplex Tenever mitfinanziert. Die Idee der Planer: Im verdichteten Bauen sollte Urbanität hergestellt werden. Wenn möglichst viele Menschen auf möglichst dichtem Raum leben, dann stellen sich automatisch Kontakte her; möglichst viele Klingeln an einer Tür, das war die Devise. Nur entsteht Urbanität nicht vor Klingelfeldern und genormten Massenbriefkästen; daher ist Tenever nur für Prospekt-Verteiler wirklich paradiesisch.
Keine Probleme haben die Teneverianer mit den Parkplätzen; ganz Tenever ist unterkellert. Nur: Viele trauen sich in die Parkgrotten nicht hinein. Doch ist Tenever wirklich ein unsicheres Plaster? Eine vom Senator für Jugend und Soziales erstellte Statistik antwortet mit einem Jein: 61 von 1.000 Teneverianern wurden letztes Jahr auf der Straße überfallen. Zum Vergleich: Der Bremer Durchschnitt liegt bei 39/1.000, der höchste Wert bei 228/1.000 Einwohnern. In Tenever werden also doppelt so viele Handtaschen geraubt oder Kioske geplündert wie im Bremer Durchschnitt, aber in anderen Vierteln ist alles noch drei-bis viermal schlimmer als im verrufenen Tenever.
Die Leute, die in Tenever wohnen, verdienen in Bremen am wenigsten Geld, und: sie haben ein durchschnittlich niedrigeres Bildungsniveau. Doch die Teneverianer sehen sich nicht als Problemkinder. Sie haben Urteile und Vorurteile, „Die Asozialen aus Tenever“, längst satt. Trotzig verkünden einige, daß sie in Tenever wohnen wollen und nicht müssen. Sie werden unterstützt von der Projektgruppe Tenever, die sich mit der Verschönerung Tenevers befaßt, und Bremer Politikern. Klaus Wedemeier verkündete kürzlich in Tenever, daß so das Wohnen der Zukunft aussehe. Daß in Tenever Menschen aus aller Herren Länder leben, wird im Zeitalter multikultureller Euphorie als Chance begriffen. Das schlechte Image von Bremen-Tenever soll aufgewertet werden.
Bremen-Tenever soll schöner werden. Seit 1984 beschäftigen sich Planer mit der sogenannten Nachbesserung von Großbauvorhaben in Bremen und Bremerhaven. Doch so leicht und skrupellos, wie man damals die riesigen Beton-Siedlungen in die Landschaft klotzte, können die Mängel nicht ausgebügelt werden. Es fehlt eigentlich an allem: Geschäfte, Cafes, Restaurants; es gibt weder Kinos, noch Theater. Tenever ist eine kulturelle Wüste. Bisher wurden in Tenever einige Wohnblöcke renoviert, eine Buslinie nach Tenever verlängert und ein Kinderhort gebaut: „Makulatur“, finden die Bewohner. Bevor diese Wüste bewohnbar wird, wird noch viel Wasser die Weser runterfließen. Susanne Brahms
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